Wohnen in der Wabe
In Riem baut Architekt Peter Haimerl das für München sehr unkonventionelle Haus „Mama“
Auf dem letzten freien Grundstück der Messestadt Riem entsteht gerade ein äußerst unkonventioneller Neubau: Das Haus sieht aus wie eine überdimensionale Bienenwabe. Es ist eine Vision des Münchner Architekten Peter Haimerl, der so auch gegen den üblichen Klötzchen-Städtebau ankämpft.
„Es ist eine Misere, dass wir nur noch in Schachteln denken“, sagt der Architekt. Auch in der Messestadt Riem sei entstanden, was man überall in Deutschlands Neubaugebieten zu sehen bekomme: große Quader mit Standardfassaden. „Ein trauriger, urbaner Loop aus Einfallslosigkeit und Langeweile.“ Peter Haimerl, der an der Linzer Universität lehrt und Aufsehen erregte, als er im Bayerwald-Dorf Blaibach ein radikal modernes Konzerthaus errichtete, beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit Städte- und Wohnungsbau. Er sagt: „Wir müssen von Haus aus in größeren Zusammenhängen denken.“
Die Idee für ein Modell jenseits der Tristesse liegt schon lange in seiner Schublade. Inzwischen gebe es einen begrüßenswerten Trend zum Zusammenleben. Und was drücke Gemeinschaft besser aus als ein Bienenstock? Zusammen mit der experimentierfreudigen Wohnungsbaugenossenschaft Wogeno zieht der vielfach ausgezeichnete Architekt nun an der Den-Haag-Straße das Wabenhaus „Mama“ hoch.
Der Name suggeriert Geborgenheit. „Es soll aufnehmend sein, und es sollen noch viele Kinder folgen“, bestätigt Haimerl. Das Gebäude setzt sich aus sechseckigen, horizontal aufeinander gestapelten Röhren zusammen, die zu einer großen Wabe montiert werden. Das in der Natur weit verbreitete Prinzip der Hexagonalstruktur erlaubt intelligente räumliche Verschachtelungen und unzählige Kombinationsmöglichkeiten von einzelnen Raumeinheiten. Wände verschwinden und werden zu Verbindungstreppen oder Raumtaschen. Die einzelnen Waben sind sechs Meter breit und zwölf Meter tief plus 1,50 breite Balkone auf beiden Seiten. Nicht alle Waben gehen durchs Haus hindurch. Schon der Rohbau, den man live per Webcam verfolgen kann, wirkt spektakulär. Haimerl: „Wir wollen in der Messestadt einen Identifikationsanker setzen.“
Das Wohnen in der Wabe erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und Offenheit für die besondere Wohnform. Das fängt schon bei der Ausstattung an. Ein Standardschrank aus dem Möbelhaus würde vor den schiefen Wänden wie ein Fremdkörper wirken und auch massiv Platz verschenken. Peter Haimerl tüftelt daher an eigenen Möbeln für die künftigen Bewohner. Es gibt bereits Prototypen, die den Raum optimal ausnutzen. Jeder, der hier einziehe, werde individuell beraten und könne sich am Ende seine gewünschte Einrichtung aus einem Katalog zusammenstellen, kündigt Haimerl an. Die Möbel sollen zum Teil im 3-D-Drucker entstehen. „Alles maßgeschneidert.“
Das ganze Prinzip des Wabenhauses eignet sich optimal für genossenschaftliches Leben. Deshalb soll es in Riem neben Einzelappartements auch eine Groß-WG über zwölf Zimmer geben. In der Erdgeschoss-Wabe ist ein Quartiersladen geplant, der von Bewohnern betrieben und genutzt werden soll. Angrenzend soll eine Selbstbedienungs-Fahrrad-Reparaturstation eingerichtet werden. Ein bisschen „normal“ geht es dann aber doch noch auf dem Grundstück zu. Direkt daneben entsteht ein zweiter Baukörper, ein konventionelles Gebäude mit großen Familienwohnungen, über eine Brücke angebunden an die Gemeinschaftsräume im Wabenhaus. Im Sommer 2022 soll das komplette Gebäude bezugsfertig sein.
[Merkur, 07.12.2021]