26 Okt

Neues Baurecht soll allen helfen

Fischbachau – Die Kreisbäuerin hatte Gesprächsbedarf. Und den meldete sie an, bevor die Zuhörer im voll besetzten Sitzungssaal überhaupt wussten, was genau der auf der Tagesordnung des Fischbachauer Gemeinderats stehende „Grundsatzbeschluss zur Wohnbaulandentwicklung“ überhaupt beinhalten soll. Bei der vorbereitenden Klausurtagung zu diesem Thema habe sie den Eindruck gewonnen, schilderte Brigitta Regauer (CSU), dass viele ihrer Ratskollegen nur über Halbwissen zu den landwirtschaftlichen Betrieben im Leitzachtal verfügen würden. Auf dieser Basis dürfe man aber keinen so weitreichenden Beschluss fassen. Regauer beantragte daher, die öffentliche Behandlung zu vertagen und vorher einen Experten des Bayerischen Bauernverbands (BBV) zurate zu ziehen. „Damit aus Meinung Wissen wird.“

Erst im Verlauf der daraus folgenden Diskussion wurde deutlich, woran sich Regauer störte: am im Grundsatzbeschluss fixierten Baulandentwicklungsmodell (ausführliche Erläuterung siehe Kasten). Dieses sieht kurz zusammengefasst vor, dass im Außenbereich nur noch dann Bauland ausgewiesen wird, wenn der jeweilige Eigentümer 50 Prozent der im Planungsumgriff liegenden Grundstücksfläche zum Baulanderwartungspreis (zehn Prozent des Bodenrichtwerts für Wohnbebauung) an die Gemeinde verkauft. Die wiederum veräußert die Fläche für 50 Prozent des Bodenrichtwerts an Einheimische, die auf dem freien Markt keine Chance haben, an bezahlbare Grundstücke zu kommen.

Auch wenn diese Regelung für alle Grundeigentümer gilt, sah Regauer hier vor allem die Landwirte als Betroffene. „So eine Wertabschöpfung ist kein Pipifax“, kritisierte sie. Das habe Folgen für die Betriebe, die zudem auch noch Steuern zahlen müssten und obendrein durch die Bebauung einen Teil ihrer Bewirtschaftungsfläche verlieren würden.

Bürgermeister Stefan Deingruber (CSU) ließ sich von der harschen Kritik aus seiner eigenen Fraktion nicht beirren. Die Gemeinde sei laut Bayerischer Verfassung dem Allgemeinwohl verpflichtet. Dazu gehöre auch, allen Bürgern den Zugang zu bezahlbarem Grund und Boden zu verschaffen. Dies sei Voraussetzung für den Erhalt einer sozial ausgewogenen Bevölkerungsstruktur. Zudem könne es sich Fischbachau auf Dauer nicht leisten, die Wertsteigerung von Grün- in Bauland (von 25 Euro auf 1000 Euro pro Quadratmeter) rein den privaten Eigentümern zu überlassen und auf der anderen Seite die Kosten für den notwendigen Ausbau der Infrastruktur von Straßen bis hin zur Kinderbetreuung selbst zu tragen.
Deutlich schärfer drückten sich die anderen Ratsmitglieder aus. Man habe sich einen gesamten Samstagvormittag zusammengesetzt, um dieses Modell auszuarbeiten, sagte etwa Thomas Kantenseder (FaB). „Und jetzt sollen wir wieder von vorne anfangen?“

Auch Martin Bacher (FWG) bezweifelte, dass die Hinzuziehung eines externen Experten etwas Neues ergeben würde: „Da drehen wir uns nur im Kreis.“ Vielmehr habe man den Bürgern versprochen, in dieser Sache bald tätig zu werden. „Es gehört sich nicht, dass wir es jetzt noch mal vertagen.“
Auch Simon Irger (FWG) erinnerte, dass viele Anfragen auf Bauland für Einheimische auf Halde lägen. In den Wahlprogrammen sämtlicher Fraktionen sei die Schaffung bezahlbaren Wohnraums gestanden, erinnerte Michael Gartmaier (CSU). „Auch ich arbeite hart und möchte mir mal was aufbauen“, sagte er und forderte mit Bernhard Padeller (FaB) und Eva Köhler (Grüne) seine Ratskollegen auf, den Grundsatzbeschluss wie vorgesehen öffentlich und Punkt für Punkt zu bearbeiten.

Das tat das Gremium auch. Regauers Antrag fiel mit 3:16-Stimmen durch. Ebenso wie Andreas Gschwendtners Vorstoß, den Passus zum Verzicht auf einen Zwischenerwerb der Gemeinde, wenn nur eine Wohneinheit zur Selbstnutzung oder Vermietung nach sozialen Kriterien entstehen soll, auf mehrere von Einheimischen in Anspruch genommene Wohneinheiten zu erweitern. „Zum Beispiel, wenn mehrere Familien zusammen etwas bauen wollen.“ Man könne das System gern bei Spekulanten anwenden, meinte Gschwendtner (CSU), „aber nicht bei einzelnen Bürgern, denen es wirklich weh tut“.

Da platzte Thomas Kantenseder (FaB) der Kragen. „Das ist das egoistische Denken der Landwirte. Ihr habt Privilegien, die sonst keiner hat“, schimpfte er. Bernhard Kafl (FWG) betonte, dass ja niemand gezwungen sei, Baurecht zu beantragen, sondern auf seinen Wiesen auch einfach weiter „Radieserl anbauen oder Schafe halten“ könne. Etwas weniger emotional drückte Deingruber aus, dass die Gemeinde nur dann tätig werde, wenn der Bedarf gegeben sei: „Es geht bei diesem Beschluss nur um das Wie, nicht um das Ob.“

Auszüge aus dem Grundsatzbeschluss

Der vom Gemeinderat gefasste Grundsatzbeschluss zur Baulandentwicklung in Fischbachau gliedert sich in eine Präambel und elf Leitlinien. Erstere begründet die Notwendigkeit zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum mit den stark gestiegenen Bodenrichtwerten und dem daraus resultierenden drohenden Wegzug von jungen Familien und älteren Bürgern sowie Personalmangel vor allem in Gastronomie und Hotellerie. Um eine „Mobilisierung von Bauland“ zu erwirken und damit dafür zu sorgen, dass alle Bürger darauf Zugriff bekommen – egal ob in Eigentum, Erbbaurecht oder Miete –, sollen bei der Ausweisung von neuem Baurecht folgende Leitlinien gelten:

  1. Außenbereichsflächen werden nur dann zu Bauland, wenn der Grundstückseigentümer 50 Prozent (in begründeten Einzelfällen 30 Prozent) der Fläche in einem städtebaulichen Zielsicherungsvertrag zum Baulanderwartungspreis (zehn Prozent des Bodenrichtwerts) an die Gemeinde verkauft. Die wiederum veräußert die Grundstücke zum Preis von 50 Prozent des Bodenrichtwerts in einem Einheimischenmodell.
  2. Der Erwerb durch die Gemeinde erfolgt zu einem möglichst frühen Zeitpunkt.
  3. Erschließungs- und öffentliche Grünflächen sind anteilig von allen Grundstückseigentümern einzubringen.
  4. Die Zielerfüllung bei Weiterveräußerung ist durch Vorgaben (Baupflicht innerhalb von fünf Jahren, Erstwohnsitzbindung) sicherzustellen.
  5. Planungen, deren primäres Ziel nicht die Schaffung von Wohnbauland ist, werden als Einzelfallentscheidung behandelt.
  6. Bei neuem Baurecht oder Nachverdichtung im Innenbereich erfolgt ebenfalls eine Einzelfallentscheidung.
  7. Jeder Grundeigentümer hat ein Rücktrittsrecht vom Verkauf an die Gemeinde, wenn er innerhalb einer bestimmten Frist kein Bauland ausgewiesen bekommt.
  8. Sofern nur Baurecht für eine Wohneinheit entstehen soll, erfolgt kein Zwischenerwerb durch die Gemeinde.
  9. Die Eigentümer werden an den Kosten für Baureifmachung und Erschließung beteiligt.
  10. Der Grundsatzbeschluss entfaltet keinen Anspruch auf Baurecht. Dieses wird nur unter Achtung gesetzlicher Vorgaben und Abwägung aller Belange ausgewiesen.
  11. Die Gemeinde behält sich Abweichungen von den Leitlinien in begründeten Einzelfällen vor.

[Merkur, 26.10.2022]