07 Mai

Genossen in Finanznot

Genossenschaften galten lange als letztes Bollwerk gegen die absurd hohen Mieten in der Stadt. Jetzt machen die Kostensteigerungen im Bau auch ihnen zu schaffen. Neue Projekte stehen auf der Kippe und Bestandsmieter müssen tiefer in die Tasche greifen.

Die allgemeine Kostensteigerung – unter anderem wegen des Ukraine-Krieges – schläft auch bei den Genossenschaften voll durch. Zusätzlich dürfte die Zinsentwicklung nicht spurlos an den Genossen vorbeigehen. Mehrere der sozialen Bauträger erhöhen deshalb ihre Mieten. Sowohl Wogeno als auch Wagnis und die Wohnungsgenossenschaft München West kündigen Preissteigerungen an. „Es wird Zähneknirschen geben“, sagt Thomas Kremer, Vorstand der Wogene, „die Belastungen sind groß. In der Massivität, wie wir jetzt erhöhen, ist das außer der Reihe.“

Wie stark genau die Mietpreise steigen, erfahren die Wogeno-Mitglieder heute in einer Online-Konferenz. In einem Schreiben kündigt die Genossenschaft an: „Die stark gestiegenen Energie- und Baukosten, die immer noch steigenden Zinsen und Verbraucherpreise und Lohnerhöhungen setzen uns unter Druck. Daher sehen wir uns gezwungen, die Nutzungsgebühren im Bestand in den nächsten Monaten anzupassen.“

Bei Wagnis bezahlen die Bewohner der Projekte Wagnis Art, Wagnis 3 und Wagnis 4 bald mehr als bei ihrem Einzug, wobei es vor allem die Mieter von frei finanzierten Wohnungen trifft. Sie haben es künftig mit 14,30 Euro pro Quadratmeter zu tun (aktuell: 13 Euro). Das liegt zwar immer noch spürbar unter dem Marktdurchschnitt, aber die Werte nähern sich an.

Auch die Wohnungsgenossenschaft München West erhöht stärker als sonst. „Bei uns steigen die Mieten turnusmäßig alle zwei Jahre“, sagt Vorstand Thomas Schimmel, „diese Erhöhung hat letztes Jahr schon sechs Prozent betragen statt vier wie noch 2020.“ Das allerdings von einem niedrigen Sockel aus – bei der München West liegt der Preis im Schnitt noch bei 6,80 Euro.

„Das Hauptproblem sind die Zinsen“, sagt Natalie Schaller, Leiterin der städtischen Mitbauzentrale. „Gerade jüngere Wohnungsgenossenschaften stemmen Projekte nicht aus Eigenkapital, weil sie ihre Grundstücke nicht beleihen können. Inzwischen zahlt man für Darlehen aber drei Mal so viel wie vor einem Jahr.“ Was für die Zinsen anfällt, fehlt dann bei Betrieb und Instandhaltung der Bestandsbauten, die ebenfalls teurer werden – weshalb die Mieter einspringen müssen.

Die Genossenschaften erhöhen aber nicht nur die Mieten: Sie bauen auch nicht mehr. Obwohl man die Ausschreibungen lange erwartet hatte, bewarben sich 2022 zum Beispiel weder Wogeno noch Wagnis noch München West um ein Grundstück im Neubaugebiet Neufreimann. Eine dichte Bebauung mit Hochhäusern und Einzelhandel bedeute ein zu hohes Kostenrisiko. Zwar hat die Stadt im Februar ein Hilfspaket über 270 Millionen Euro für laufende Bauprojekte mit Niedrigmieten beschlossen. Dieses kam aber für viele Genossenschaften, die in Neufreimann oder auch im Kreativquartier an der Dachauer Straße gern zugeschlagen hätten, zu spät. Und: „Die Anstrengungen der Stadt sind anerkennenswert“, sagt Vorstand Kremer, „aber wir brauen gerade mit Anstrengung ein Projekt in Freiham fertig. Alles Weitere können wir uns in den nächsten Jahren nicht leisten.“

[Merkur, 07.05.2023]