Studenten in Wohnungsnot
An Bayerns Unis soll im Herbst der Alltag zurückkehren. Viele Studierende wissen aber noch nicht, ob ihre Kurse online oder in Präsenz stattfinden. Wer nicht am Studienort wohnt, steht also unter Druck – und sucht verzweifelt nach einer Wohnung.
München – Lenn Jonas Milke klickt sich durch den Münchner Wohnungsmarkt. Dann verschickt der 19-Jährige Bewerbungen, um bald nach München umziehen zu können. Gerade wohnt er noch bei seinen Eltern in Essen – obwohl er schon seit einem Jahr Politikwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität studiert.
„Als mein Studium letzten Herbst begonnen hat, hatte ich eine Wohnung in München. Genutzt habe ich sie im Lockdown aber nicht“, sagt Milke. Wegen des Online-Unterrichts war das kein Problem. In München kannte er niemanden, außerdem konnte er sich die Miete sparen. „Jetzt hat die Uni für das Wintersemester ein Hybridkonzept angekündigt“, sagt Milke. Und so günstig wie jetzt standen die Zeichen für Unterricht vor Ort lange nicht. Wissenschaftsminister Bernd Sibler versprach erst am Dienstag, dass die Universitäten und Hochschulen zur Präsenzlehre zurückkehren werden. Von Essen nach München pendeln kann Milke nicht. So ist er nun erneut auf Wohnungssuche – doch die läuft schleppend.
„Ein WG-Zimmer zu finden, ist schwieriger als vergangenen Herbst“, sagt Milke. Kein Wunder, sagt er. Jetzt, da die Universitäten und Hochschulen wieder Präsenzunterricht anbieten, suchen nicht nur Erst-, sondern auch höhere Semester. „Zudem gibt es viele, die wegen der Online-Kurse nicht gleich mit dem Studium begonnen haben“, mutmaßt er.
Schon im Juli standen rund 9600 Studierende beim Studentenwerk München auf der Warteliste für ein Zimmer im Wohnheim. 11 000 Zimmer bietet das Studentenwerk an: 9500 in München, den Rest in Freising und Rosenheim. „Trotz Pandemie hatten wir kaum weniger Anfragen. Die Wartelisten sind immer lang. Im Juli 2020 warteten 8300 Studierende auf einen Platz“, sagt Sophie Plessing. Im Lockdown ließ sich aber beobachten: „Viele waren nicht da, haben ihre Wohnung aber gehalten.“ Teure Online-Semester bei um die 350 Euro Miete im Monat. Doch die Plätze sind begehrt, im Verhältnis günstig – und ersparen jetzt die erneute Wohnungssuche.
Obwohl die Nachfrage zum Wintersemester aktuell gewohnt hoch ist, machte sich die Pandemie auch beim Studentenwerk Augsburg bemerkbar: „In den Sommersemestern 2020 und 2021 haben viele den Platz doch nicht angenommen oder ihren bisherigen aufgegeben“, sagt Stefan Rehm. Jetzt stehen wieder rund 650 Studierende auf der Liste. In den Wohnheimen des Studentenwerkes Niederbayern/Oberpfalz standen vorigen Sommer in Regensburg kurz sogar Zimmer leer, da Studierende aus dem Ausland nicht einreisen konnten. „Überraschenderweise fragen nun wieder viele internationale Studierende nach“, sagt Nicolas Müller. Die Unsicherheit unter den Studenten generell sei aber noch spürbar.
Viele Bewerber erhalten erst im Laufe der Sommerferien ihre Zulassung zum Studium. So weiß auch Sarah Graf aus Neumarkt in der Oberpfalz erst seit gut zwei Wochen, dass sie ab Oktober Tourismusmanagement an der Hochschule München studieren wird. Der Studiengang ist klein und so die Hoffnung Grafs auf Präsenzkurse groß. „Ich weiß es noch nicht, aber ich hoffe, dass wir vor Ort Unterricht haben“, sagt die 18-Jährige. „Im Juli habe ich mich schon vorsorglich bei zwei privaten Wohnheimen beworben, warte aber noch auf eine Zusage“, sagt sie. Erst mit der offiziellen Einschreibung konnte sie sich nun auch beim Studentenwerk bewerben. „Die Warteliste ist lang, da stehen meine Chancen schlecht.“
Und weil Graf nur 400 Euro für ein Zimmer bezahlen kann, hat sie es auch auf dem privaten Wohnungsmarkt schwer. Wenn sie in zwei Wochen noch kein Zimmer hat, wird sie die Suche in München aufgeben. „Den Studiengang gibt es auch in Deggendorf, wo die Wohnungssuche nicht so schwierig ist“, sagt sie. Allerdings platzt dann ihr Traum vom Umzug in die Großstadt.
Lenn Jonas Milke will nicht noch ein Jahr bei seinen Eltern leben und via Zoom studieren. Durch Umzug und Präsenzlehre hofft er, dass sein neuer Lebensabschnitt endlich beginnt. Notfalls mit einem Bett im Hostel zur Überbrückung.
[Merkur, 03.09.2021]