16 Jun

„Wir müssen Kompromisse eingehen“

Holzkirchen – Bezahlbaren Wohnraum schaffen war ein zentrales Thema beim Forum Innovation Transformation (FIT) der Kreissparkasse Miesbach-Tegernsee (wir berichteten). Einer, der das Thema bei der Podiumsdiskussion aufmerksam verfolgt und bei der anschließenden Diskussion Stellung bezogen hat, ist Bürgermeister Christoph Schmid (51, CSU). Wir sprachen mit Holzkirchens Rathauschef, der als ehemaliger Firmenkundenberater bei der Sparkasse das Immobiliengeschäft gut kennt, über Nutzen und Grenzen von Kommunalunternehmen sowie die Frage, warum sich Kommunen beim Wohnraum allgemein so schwertun.

Herr Schmid, wie groß ist aus Ihrer Sicht die Notwendigkeit, bezahlbare Wohnungen zu schaffen?

Grundsätzlich muss man feststellen, dass der Wohnungsbau keine gesetzlich vorgeschriebene Pflichtaufgabe ist. Ich sehe es dennoch als Pflichtaufgabe an. Denn wie wollen wir sonst Ortsentwicklung betreiben und dabei ausreichend Wohnraum sicherstellen? Wobei man erst mal definieren muss, was bezahlbarer Wohnraum eigentlich ist. Denn bezahlt werden die hohen Preise bei uns ja.

Aber halt nicht von den Leuten, die in weniger gut bezahlten Berufen ihr Geld verdienen. Wie viel kostet denn Ihrer Meinung nach bezahlbarer Wohnraum?

Ich sehe ihn realistisch im niedrigen zweistelligen Bereich, also von zehn bis zwölf Euro pro Quadratmeter. Dieser Wert ergibt sich aus den aktuellen Baupreisen, resultierend aus den Anforderungen des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) und dem allgemeinen Qualitätsanspruch. Natürlich gilt diese Preisangabe für neu zu errichtende Gebäude.

Wie groß erwarten Sie den Siedlungsdruck in den nächsten Jahren?

Sehr groß. Wir liegen im Bereich der Metropolregion München. So soll die Landeshauptstadt bis 2045 um 285 000 Einwohner wachsen – das strahlt ab auf Kommunen mit guter Infrastruktur. Und da gibt es eigentlich nichts Besseres als Holzkirchen. Wir sind dankbar, dass wir mit der S-Bahn den Anschluss an den MVV haben, aber wir zahlen auch einen Preis für diese Attraktivität – auch mit dem Verkehrsdruck, der dadurch entsteht, dass man aus anderen Gemeinden nach Holzkirchen kommt.

Warum ist Wohnungsbau Ihrer Meinung nach eine kommunale Aufgabe?

Sinn und Zweck ist es ja, die nächste Generation am Ort halten zu können. Diese Nachwuchssicherung soll bei uns über eine Kombination aus Arbeitsplätzen und Wohnraum geschehen.

Ist ein Kommunalunternehmen der richtige Weg, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen?

Es muss kein Kommunalunternehmen sein. Ich habe beispielsweise vor fünf Jahren als Gemeinderat den Antrag gestellt, dass eine neue Stelle in der Liegenschaftsverwaltung nicht mit jemandem aus der Verwaltung besetzt wird, sondern mit jemandem aus der Immobilienbranche. Das haben wir gemacht – mit Erfolg. Der zentrale Punkt ist: Man braucht im Rathaus Fachkompetenz.

Was spricht denn für ein Kommunalunternehmen?

Der Vorteil ist sicher die eigene Rechnungslegung, denn sonst gehen die Mieteinnahmen im Haushalt der Gemeinde unter. Letztlich leidet dann die Bewirtschaftung des Immobilienbestandes. Aber man braucht eine gewisse Größe. Entweder in der Verwaltung ohne Unternehmen oder beim Wohnungsbestand für ein eigenes Unternehmen. Die Untergrenze für ein Kommunalunternehmen würde ich bei rund 100 Wohnungen sehen. Schon allein wegen des administrativen Aufwandes mit Bilanzierung und Steuerberater sowie einem kleinen Vorstand und einem Aufsichtsrat.

Wäre ein Kommunalunternehmen auf Kreisebene eine Option? Immerhin könnte man so kleinere Gemeinden mitbetreuen.

Ein Zusammenschluss wäre sicher sinnvoll wegen des angesprochenen Aufwands, aber ich bezweifle, ob da der Landkreis die richtige Ebene ist. In der FIT-Diskussion wurde ja die Anregung laut nach einem Masterplan, der gemeindeübergreifend Wohnungsbauprojekte erfasst und aufzeigt, wo man was machen will. Aber genau dem steht die Planungshoheit der Gemeinden entgegen. Man stößt da schnell an Grenzen: Was will der Landkreis mit einem Kommunalunternehmen? Was will welche Gemeinde? Das ist ja derzeit gut beim Thema Ersatzbau des Landratsamts in Miesbach zu sehen, wo der Landkreis bei der Dachgestaltung andere Vorstellungen hat als die für die Bauleitplanung zuständige Kreisstadt. Was aber sinnvoll und vorstellbar wäre, ist ein Kommunalunternehmen, das zwei, drei Nachbargemeinden gemeinsam betreiben. Warum nicht? Aber auf Kreisebene wären die Reibungsverluste wohl zu groß.

Wird das Thema Wohnungsbau von den Kommunen ernst genommen oder eher verdrängt?

Ernst nehmen es alle in Diskussionen, aber das Handeln ist eine ganz andere Hausnummer. Was auch verständlich ist. Man operiert mit sehr viel Geld, das nur langsam zurückfließt. Dafür erhöht sich die Verschuldung zum Teil immens. Außerdem braucht man Kompetenz im Haus, geschultes Personal. Das ist ein eigenes, für viele neues Geschäftsfeld. Da bringt es wenig, die Aufgabe Kollegen aus der Kämmerei zusätzlich auf den Tisch zu legen und zu sagen: Mach das mal mit.

In der Podiumsdiskussion wurde festgestellt: Die Kommunen brauchen einen Plan. Ist ein solcher so einfach zu entwickeln?

Ein solcher Plan muss individuell je Kommune entwickelt werden, und dies ist alles andere als einfach. Man muss den Bedarf kennen und verfügbare Grundstücke haben. Und man darf nicht vergessen: Wir haben es beim Wohnungsbau mit konkurrierenden Zielen zu tun. Einerseits will man mehr Wohnraum, aber man will häufig nicht weiter wachsen und auch nicht weitere Flächen versiegeln. Außerdem muss man sich, wie ich fürchte, von einigen Grundsätzen wohl verabschieden.

Inwiefern?

Ich glaube, dass der kommunale Wohnungsbau mehr in die Höhe gehen muss, um den Platz effektiver zu nutzen und die Kosten für das Grundstück somit auf mehr Wohnfläche umlegen zu können. Dafür gibt es grundsätzlich Zustimmung, „aber bitte nicht bei mir in der Nachbarschaft“. Da ist eine gewisse Doppelmoral vorhanden. Wir müssen uns aber von einigen Erwartungen freimachen und Kompromisse eingehen.

Wie sehen die Ihrer Meinung nach aus?

Da ist die Frage: Muss es immer Eigentum sein oder reicht Erbbaurecht? Denn die Grundstückskosten verteuern eine Immobilie enorm. Barrierefreiheit ist auch ein solches Thema. Sie ist wichtig, aber teuer. Allein schon der Aufzug verbraucht Fläche und verteuert den Unterhalt.

Was schlagen Sie vor?

Vielleicht sollten wir uns mehr trauen, auch mal „quick and dirty“ zu bauen. Zum Beispiel ein kostengünstiges Gebäude, in dem man vielleicht nicht bis ins hohe Alter leben kann, da es eben nicht über alle Etagen barrierefrei ist. Und man muss sich auch mal trauen, ein Geschoss mehr draufzusetzen. Wir kommen in Zukunft nicht darum herum, in die Höhe zu gehen. Auch beim Thema Parkplätze müssen wir umdenken. Da braucht es intelligente Mobilitätslösungen, damit nicht jede Wohnung Stellplätze für zwei Autos nachweisen muss. Wir haben Mobilitätsbedarf, aber es braucht Lösungen, um auf das Auto verzichten und trotzdem auf eines bei Bedarf zurückgreifen zu können. Solche Strukturen zu etablieren dauert – das zeigt unser E-Car-Sharing in Holzkirchen. Aber es beginnt zu laufen.

Das sind einige Zugeständnisse, die Sie da verlangen.

Naja. Vom kommunalen Wohnungsbau erwartet man gerne High-End-Qualität für sieben Euro pro Quadratmeter. Aber das wird sich nicht machen lassen.

Wie kommen Kommunen an Bauland, ohne marktübliche Preise zu bezahlen?

Entweder man entwickelt die Wiese am Ortsrand oder man partizipiert davon, dass ein privater Investor Bauland ausgewiesen haben möchte. Dann kann sich die Gemeinde einkaufen oder an der planungsbedingten Wertsteigerung partizipieren.

Wie plant Holzkirchen?

Wir arbeiten auf mehreren Ebenen: Wir bauen selbst, wir schöpfen einen Teil der Wertsteigerung ab, und wir kaufen uns bei fremden Projekten ein. Dazu entwickeln wir mit der Konzeptvergabe in der Maitz ein sehr spannendes Projekt.

Ist es ein sinnvoller Ansatz, mehr auf zentrumsnahe, seniorengerechte, barrierefreie Wohnungen zu setzen, damit Senioren ihre großen Häuser für Familien frei machen können? 

Wir stellen fest, dass die Bereitschaft, sein Haus zu verlassen, erst noch wachsen muss. Allerdings: Wenn man in seinem gewohnten Umfeld oder Quartier durch einen Tausch bleiben kann, ist das durchaus ein Thema. Viele ältere Leute leben ja zu zweit in für sie viel zu großen Häusern. Generell kann man sagen: Es gibt beim Wohnungsbau keine Blaupause für alle Kommunen. Es ist vielmehr ein Baukastensystem, in dem jede Kommune die passenden Teile finden muss. Also nicht die eine große Lösung, sondern eine Vielzahl an Mosaiksteinen.

Das Gespräch führte Dieter Dorby. 

[Merkur, 14.06.2021]