06 Dez

„Wir bräuchten doppelt so viel Fördergeld“

München – Am bayerischen Immobilienmarkt geschieht derzeit Ungewöhnliches: Umsätze sacken ab, Projekte werden verschoben, Kaufpreise sinken. Die Inflation und die Unsicherheit angesichts des Ukraine-Krieges haben deutliche Spuren hinterlassen. Was bedeutet das für Kaufwillige? Bauherren? Kapitalanleger? Eigenheimbesitzer? Wie geht es weiter am Immobilienmarkt der Metropolregion München mit ihrem ausgedehnten Speckgürtel? Darüber sprachen wir mit einer ganzen Reihe von Experten.

Heute: Der Projektentwickler

Hans Maier ist Verbandsdirektor und geschäftsführender Vorstand des VdW Bayern. Der VdW ist kein gewöhnlicher Immobilienverband: Er vertritt die Interessen von sozial orientierten Wohnungsunternehmen, dazu zählen etwa Wohngenossenschaften sowie kommunale und kirchliche Wohnungsfirmen. Fast 500 Wohnungsunternehmen sind im VdW organisiert, gemeinsam verwalten sie 540 000 Wohnungen in Bayern, darunter 107 000 Sozialwohnungen.

Mehr als eine halbe Million Wohnungen verwalten Ihre Mitgliedsunternehmen im Freistaat. Wie ist dort die Stimmung?

Seit der Energiekrise ist die Stimmung der Wohnungswirtschaft ziemlich getrübt. Die stark gestiegenen Gaspreise werden sich empfindlich auf die Mieterhaushalte, aber auch auf die Wohnungsunternehmen auswirken. Unsere Wohnungsunternehmen kaufen Energie bei den Versorgern, und diese Kosten müssen wir an die Mieter weitergeben. Der Gaspreisdeckel wird dieses Problem nur in Teilen lösen.

Warum nur „in Teilen“?

Zwölf Cent pro Kilowattstunde kann für einen Mieter nach wie vor eine Verdrei- bis Vervierfachung der Abschlagszahlung sein. Ich weiß von einem Mieter, der hat bisher im Monat 90 Euro bezahlt, jetzt sollte er 490 Euro zahlen. Aber auch nach Einführung des Gaspreisdeckels sind es immer noch 270 oder 360 Euro.

Ist das die Ausnahme oder die Regel?

Solche Beispiele haben wir überall dort, wo die Gasverträge zum Jahresende auslaufen. Nur 25 Prozent unserer Mitgliedsunternehmen haben eine vertragliche Preisgarantie bis 2024 oder länger.

Stehen die sozial orientierten Wohnungsunternehmen besonders unter Druck?

Bei uns ist tatsächlich die Mehrzahl der Mieter im unteren Einkommenssegment. Da sind 200 oder 300 Euro im Monat an Zusatzkosten sehr viel Geld. Das Wohnunternehmen geht beim Energieeinkauf aber in Vorleistung. Passiert es, dass der Mieter die Vorauszahlung nicht bezahlen kann, bleibt das Unternehmen auf den Kosten sitzen.

Was ist die Folge?

Die Liquidität im Unternehmen geht zurück, die Investitionen werden runtergeschraubt.

Ein Massenphänomen?

Wir haben eine Umfrage unter unseren Mitgliedsunternehmen gemacht: Demnach wollen 58 Prozent ihre Investitionstätigkeit einschränken – das trifft auch Neubauprojekte.

Die Bundesregierung will aber, dass jedes Jahr 400 000 neue Wohnungen in Deutschland entstehen.

Bei den jetzigen Rahmenbedingungen ist das Ziel nicht erreichbar, zumal von diesen 400 000 Wohnungen ein Viertel gefördert sein soll.

Ist teure Energie das einzige Problem?

Nein. Die Baukosten sind hoch, Materialmangel und gestörte Lieferketten haben das Bauen verteuert. Außerdem machen sich die gestiegenen Zinsen bemerkbar. Das Problem ist, dass die staatliche Förderung an diese neuen Rahmenbedingungen nicht angepasst ist.

Das heißt, Bund, Freistaat und Kommunen müssten eigentlich mehr Geld in die Hand nehmen?

So ist es. Von dem Ziel der Bundesregierung, jedes Jahr 100 000 geförderte Wohnungen zu bauen, dürfte bei den aktuellen Förderregeln maximal die Hälfte realisiert werden. Der Bund gibt im kommenden Jahr 2,9 Milliarden Euro für den geförderten Wohnungsbau aus, die Länder in etwa das Gleiche. Wir bräuchten aber doppelt so viel. Zumal im frei-finanzierten Wohnungsbau ebenfalls nachgebessert werden muss.

Was ist hier zu tun?

Steuerliche Anreize setzen, die ganze Grundstückspolitik überdenken und Genehmigungsverfahren beschleunigen. Denn hier hapert es auch.

Wie lange dauert aktuell ein Neubau?

Von der grünen Wiese bis zum fertigen Gebäude etwa 48 Monate.

Wie ließe sich der Neubau beschleunigen?

Ein Problem ist beispielsweise, dass wir in Deutschland nicht gerade Weltmeister im seriellen Bauen sind.

Die Plattenbauten aus den 50er- und 60er-Jahren sind aber auch nicht immer ein schöner Anblick.

Serielles Bauen im Jahr 2022 hat mit Plattenbauten nichts mehr zu tun. Heute heißt serielles Bauen: Alles wird am Computer geplant, einzelne Module lassen sich wie Legosteine beliebig zusammensetzen. Das ist nicht nur günstiger, sondern im Bau auch schneller – und trotzdem ist das Gebäude sehr individuell gestaltbar. Wenn Sie an einem solchen Gebäude vorbeispazieren, sehen Sie nicht, dass das Haus aus serieller Fertigung stammt. Die Niederlande machen das heute schon, wir sind hier in der Breite noch nicht so weit.

Dabei sieht sich Deutschland gerne als Technologievorreiter.

Sind wir aber nicht. Bauherren, Bauausführende und Planer müssen viel enger zusammenarbeiten – und technologieoffener werden.

Woran hakt es bei der Grundstückspolitik?

Es gibt zu wenig Grundstücke für den Wohnungsbau. Also müsste man das Thema Aufstockung – also neue Stockwerke für bestehende Gebäude – oder die Nachverdichtung erleichtern.

Wie wirken sich die gestiegenen Zinsen aus?

Vor elf Monaten haben wir 0,7 Prozent an Zinsen gezahlt, jetzt sind wir bei 4,1 Prozent. Angenommen, ein neues Gebäude kostet fünf Millionen, benötige ich etwa eine Million Euro als Kredit. Habe ich vor Kurzem noch 7000 Euro an Zinsen bezahlt, sind es jetzt 41 000 Euro. Die ersten Projektentwickler bauen schon nicht mehr.

Kennen Sie Projekte, die verschoben worden sind?

Ja, aber die Wohnungsunternehmen wollen ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Klar ist, dass Wohnraum knapp bleibt. Daher steigen die Mieten weiter, da gibt es die nächsten Jahre keine Erleichterungen.

Gibt es auch gute Nachrichten?

Es gibt eine Renaissance des kommunalen Wohnungsbaus. Wir haben aktuell fünf Kommunen, denen wir helfen, kommunale Wohnbauträger zu gründen. Insbesondere von der Metropolregion München geht das aus. Positiv ist auch, dass die Konzeptvergabe zugenommen hat.

Was ist das genau?

Verkauft eine Kommune ein Grundstück, erhält nicht mehr der Investor mit dem teuersten Angebot das Grundstück, sondern der mit dem besten Konzept. Wäre das nicht so, hätten sozial orientierte Wohnungsunternehmen, insbesondere Wohnungsgenossenschaften, keine Chance. In München gehen inzwischen eigentlich alle Grundstücke über die Konzeptvergabe an neue Eigentümer.

Und bei privaten Grundstücksverkäufen?

Wenn die Stadt das Baurecht neu schafft, greift die Sobon, also die Sozialgerechte Bodennutzung.

Was bedeutet das?

Das heißt, dass der Käufer einen Teil der Wohnbauflächen für geförderten Wohnbau zur Verfügung stellen muss.

So positiv das klingt: Es bringt offenbar nicht viel. Die Mieten im Großraum München sind in den vergangenen Jahren trotzdem rasant gestiegen.

Diese positiven Entwicklungen lösen tatsächlich das akute Problem des Wohnraummangels nicht. Dazu bräuchte man einen noch höheren Anteil an gefördertem Wohnraum. Was Städte wie München gerade machen, sind auf Jahrzehnte angelegte strategische Projekte, um sich langfristig Zugriff auf die Wohnungen zu sichern. Bis man hier echte Effekte sieht, kann das noch 30 bis 50 Jahre dauern.

Interview: Sebastian Hölzle

[Merkur, 06.12.2022]