Wohnungsnot im Dorf: Helfen neue Regeln von Bund und Freistaat?
Mehr als 200 bayerische Kommunen gelten seit kurzem als „Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt“ – darunter viele kleine Gemeinden. Sie haben nun neue Möglichkeiten im Kampf gegen Wohnungsnot. Doch Bürgermeister in betroffenen Orten sind skeptisch.
Zweieinhalb Zimmer umfasst die Wohnung von Eva Stadtelmeyer und Jan von Wietersheim. Bald wollen sie heiraten, eine Familie gründen. Sie suchen nach einem freien Grundstück oder einem Haus, das sie renovieren könnten, am liebsten in ihrem derzeitigen Wohnort Wiesenbronn bei Kitzingen. Doch bislang sind sie nicht fündig geworden. „Es ist schon schwierig für Leute, die hier wohnen bleiben wollen, eine Wohnung oder ein Haus zu finden“, sagt Jan von Wietersheim.
Wiesenbronn gilt offiziell als „Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt“ – zusammen mit 207 weiteren bayerischen Städten und Gemeinden.
Mehr als 200 „Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt“
Die Einordnung der „Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt“ hat der Freistaat Bayern vorgenommen. Gemeint sind damit Kommunen, in denen die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist. So steht es in der entsprechenden „Gebietsbestimmungsverordnung Bau“. Die Bayerische Staatsregierung hat sie im September 2022 beschlossen.
Die Gebiete wurden anhand verschiedener statistischer Daten ermittelt. Was dabei überrascht: Jede zehnte bayerische Kommune ist aufgeführt und neben Großstädten zahlreiche Gemeinden im ländlichen Raum. Der Großteil davon liegt in der Nähe von Ballungszentren wie München, Augsburg oder Nürnberg. Das Bayerische Bauministerium spricht von „Übersprungseffekten“. In der Liste befinden sich aber auch Orte wie Sankt Englmar in Niederbayern – oder eben Wiesenbronn in Unterfranken.
Erschlossene Grundstücke stehen leer
Dort am Fuße des Steigerwalds versuchen Eva Stadtelmeyer und Jan von Wietersheim nun bereits seit zwei Jahren fündig zu werden. Dabei gibt es in der Gemeinde mit etwa 1.100 Einwohnern durchaus möglichen Wohnraum. Zehn erschlossene Grundstücke stehen leer. Mehrere Gebäude sind unbewohnt. Um die 15 Besitzer hat das Paar bereits angesprochen. Keiner wollte verkaufen. „Die Grundstücke sind sicheres, ruhendes Kapital“, sagt Jan von Wietersheim. Er kann die Eigentümer verstehen.
Stattdessen in einem anderen Ort auf die Suche gehen will das Paar aber nicht. Beide engagieren sich im Vereinsleben. Er ist Kommandant der Feuerwehr, sitzt parteilos im Gemeinderat. „Es wäre schade, wenn wir hier nichts finden“, sagt Eva Stadtelmeyer.
Wohnungsnot im ländlichen Raum angekommen
Das junge Paar schildert am Beispiel Wiesenbronn ein Problem, das in der Bundes- und Landespolitik bekannt ist. Wohnungsnot ist kein ausschließliches Phänomen der Ballungsräume mehr. Sie ist offiziell im ländlichen Raum angekommen.
Grundlage für die Verordnung des Freistaats ist das Baulandmobilisierungsgesetz. Der Bundestag hatte es im Mai 2021 verabschiedet. Das Gesetz soll Kommunen ermöglichen, zum Beispiel Baulücken und brachliegende Flächen einfacher als bislang nutzen zu können.
Den mehr als 200 Gemeinden, denen der Freistaat einen „angespanntem Wohnungsmarkt“ bescheinigt, stehen dadurch neue Instrumente zur Verfügung. Zum Beispiel sollen Aufstockungen von Wohngebäuden schneller genehmigt werden können. Außerdem können die Gemeinden ein sogenanntes Vorkaufsrecht geltend machen. Werden Brachflächen verkauft, dürfen sie als erstes zugreifen.
„Bayern ist ein Flächenstaat. Wir können also nicht nur die Situation in München anschauen, sondern müssen den ganzen Freistaat in den Blick nehmen“, wurde Bayerns Bauminister Christian Bernreiter (CSU) beim Beschluss der Verordnung zitiert. Doch in betroffenen Kommunen im ländlichen Raum rufen die neuen Möglichkeiten auch Skepsis hervor.
Bürgermeister: Erweitertes Vorkaufsrecht nutzt nichts
„Das Vorkaufsrecht bringt mir eigentlich nichts, weil die Besitzer wollen nicht verkaufen“, sagt Jürgen Schulz (parteilos), Bürgermeister in Abtswind. Der Ort liegt wenige Kilometer von Wiesenbronn entfernt. Auf einer Gemeindekarte hat Schulz mit rotem Textmarker mehrere Grundstücke markiert. Sie sind seit Jahren erschlossen, werden aber weder bebaut noch verkauft. 16 Stück, in einer Kommune mit gerade einmal 800 Einwohnern. Besitzer heben Bauplätze für ihre Kinder oder Enkel auf, sagt Schulz.
Ähnlich sieht das Horst Reuther (CSU), Bürgermeister in Albertshofen, ebenfalls im Landkreis Kitzingen: „Wir brauchen als Gemeinde keinen Bauplatz kaufen, nur um ihn sofort wieder zu verkaufen.“ Die Gefahr durch Spekulanten schätzt er in einer Gemeinde mit etwa 2.200 Einwohnern gering ein.
Das Bayerische Bauministerium bestätigt auf BR-Anfrage, dass das Vorkaufsrecht erst im Verkaufsfall zu einem Zugriffsrecht der Gemeinde führt. Weiterführende Regelungen könne lediglich der Bund beschließen. Das Bundesbauministerium ließ eine Anfrage unbeantwortet.
Eigentümer sollen verpflichtet werden zu bauen
Bei brachliegenden Grundstücken könnten die Bundesgesetze kleinen Gemeinden trotzdem helfen. So sieht es zumindest das Ministerium in München. Demnach können Gemeinden mit angespanntem Wohnungsmarkt nun leichter als bislang Baugebote anordnen. Auch langjährige Eigentümer könnten verpflichtet werden, innerhalb einer Frist Wohnungen zu bauen – sofern der Bebauungsplan Wohnungen vorsieht.
Allerdings hat das Gesetz Ausnahmen. Etwa dann, wenn ein Eigentümer glaubhaft begründet, dass er aus wirtschaftlichen Gründen nicht bauen kann. Dann sei die neue Regelung wohl hinfällig, heißt es aus dem Rathaus im unterfränkischen Dettelbach. Der dortige Bürgermeister Matthias Bielek (Freie Wähler) will die neuen Instrumente des Bunds und Freistaats dennoch im Stadtrat diskutieren: „Wir werden darüber reden müssen.“ Die Stadt mit 7.200 Einwohnern steht ebenfalls auf der Liste des Freistaats. Etwa 240 unbebaute, erschlossene Grundstücke gibt es im Gemeindegebiet.
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Zum vollständigen Artikel:
https://www.br.de/nachrichten/bayern/wohnungsnot-im-dorf-helfen-neue-regeln-von-bund-und-freistaat,TPGDm4W
[BR, 18.12.2022]