03 Nov

Quadratmeter sind die neue Währung am Arbeitsmarkt

Wirte, Kliniken, Stadtwerke: Viele Branchen tun sich schwer, Fachkräfte in die Region zu locken. Werkswohnungen sind ein Argument

München – Die neue Währung auf dem Arbeitsmarkt heißt Quadratmeter. Nicht nur Busunternehmer, auch viele andere Branchen sind von den hohen Mieten betroffen. Besonders Gastronomie und Pflege suchen händeringend nach Fachkräften.

Thierry Willems ist Chef des Bräustüberls Weihenstephan in Freising. Ihn schreckt der Personalmangel mehr als die Immobilienpreise. „Ich habe in Freising eine Wohnung für 600 000 Euro gekauft und 45 000 Euro in den Ausbau investiert“, berichtet er. Die Wohnung ist nicht für leitende Angestellte gedacht, sondern für Restaurantfachkräfte. Kräfte, an denen es mangelt. „Ich kriege keine guten Leute mehr“, stellt Willems fest, „zumindest nicht hier vor Ort.“

Deshalb sucht er seine Fachleute im Ausland. In Frankreich und Tschechien beispielsweise. Aber die können sich die hohen Mieten in München nicht leisten, denn die Gehälter seien in der Branche naturgemäß knapp kalkuliert, sagt Willems. „Damit ich den Leuten mehr zahlen kann, müsste ich mehr verlangen – und über 20 Euro für ein Schnitzel wird kaum ein Gast bezahlen.“

Deshalb verlangt der Restaurant-Chef von seinen Mitarbeitern nur einen Teil der ortsüblichen Miete. Denn nur mit Fachkräften funktioniere das Geschäft. Die Investitionen in die Wohnung, eine weitere auf dem TUM-Gelände und vier Zimmer im Bräustüberl sind für Willems’ Geschäft überlebenswichtig: „Andere Wirte hatten Personalmangel und konnten den Aufschwung nicht mitnehmen“, sagt Willems. Er bedauert, mit so harten Bandagen um seine Mitarbeiter kämpfen zu müssen. „Nicht alle Betriebe haben das Volumen, nebenher noch Immobilien kaufen zu können.“

Den Kampf um Fachkräfte ficht auch Frank Niederbühl, Geschäftsführer des Klinikums Garmisch-Partenkirchen. „Wir haben jetzt schon über 200 Wohneinheiten, aktuell bauen wir 19 dazu“, erklärt er. Gemeint ist ein Projekt im 3200-Seelen-Ort Ohlstadt. Hier hat das Klinikum das Alpenhotel gekauft und baut die Zimmer zu Wohnungen aus. Kostenpunkt allein für die Sanierung: 4,5 Millionen Euro. Erlös: gerade einmal etwa zehn Euro Kaltmiete pro Quadratmeter. Für Niederbühl ist das aber alternativlos. „Wir brauchen vor allem gute Pflegekräfte und die können sich das Wohnen in der Region sonst nicht leisten.“ Da würden auch höhere Löhne nichts helfen: „Selbst wenn man auf dem Mietmarkt konkurrieren kann, gibt es trotzdem zu wenig Wohnraum“, sagt er. Trotz aller Mühe kann nur ein Teil der 1500 Klinikmitarbeiter eine der 230 Wohnungen beziehen. „Wir versuchen deshalb, die Wohnungen befristet zu vermieten und damit vor allem den neuen Leuten das Ankommen zu erleichtern“, erklärt der Klinik-Chef.

Ähnlich ist die Situation bei der München Klinik, zu der die Kliniken Bogenhausen, Harlaching, Neuperlach, Schwabing und Thalkirchner Straße gehören. „Wer in und für München arbeitet, soll hier auch gut mit seiner Familie leben können. Bezahlbarer Wohnraum für Mitarbeiter war für uns deshalb immer ein vordringliches Thema“, sagt Dr. Axel Fischer, Chef der München Klinik. Man habe derzeit Bezugsrechte für rund 1000 Wohnungen im Stadtgebiet, biete Unterstützung bei der Wohnungssuche sowie temporäre Personalunterkünfte. Besonders im Pflegebereich müsse die Klinik ein arbeitsplatznahes Wohnen erleichtern. So sind am Standort Schwabing 132 Ein- bis Vier-Zimmer-Wohnungen für Pflegepersonal geplant. Daneben setzt die München Klinik auf weitere Bonbons: vergünstigte MVV-Tickets, Werbeprämien für Mitarbeiter, Wiedereinstiegs-Angebote für Berufsrückkehrer, Betriebsrente, flexible Arbeitszeit- und Kinderbetreuungsangebote sowie Fortbildungen. Außerdem bildet das Klinikum selber Pflegenachwuchs aus.

Bei den Stadtwerken München, zu denen auch die Verkehrsgesellschaft MVG mit ihren Bussen, Tram- und U-Bahnen gehört, setzt man schon seit Jahren wieder auf Werkswohnungen, denn auch hier fehlt Personal – besonders Fahrer im Nahverkehr. Bis 2030 wollen die Stadtwerke über rund 3000 Werkswohnungen verfügen.

Auch die öffentliche Hand investiert. So entstanden im September in Putzbrunn im Kreis München 76 Wohnungen. Träger ist das Landratsamt München. Mit zehn Euro Kaltmiete pro Quadratmeter wollen der Landkreis und die Gemeinde Fachkräfte anlocken. Dabei sind 54 Wohnungen für Mitarbeiter des Landratsamtes gedacht, 22 für Gemeindemitarbeiter und Bürger. Insgesamt kostet das von Bund, Landkreis und Gemeinde finanzierte Projekt 29 Millionen Euro.

[Merkur, 03.11.2021]