12 Apr

Generationen unter ein Dach bringen

Ein Wohnprojekt, in dem mehrere Generationen unter einem Dach leben. Am besten zentral im Ort gelegen, damit fußläufig alles erreichbar ist. Das kann sich die SPD-Kreisrätin Christine Negele auch für Tegernsee vorstellen. Im Stadtrat stellte sie ihre Idee jetzt vor und stieß grundsätzlich auf offene Ohren.

Tegernsee – In einer lebendigen Generationen-Gemeinschaft bezahlbar wohnen: Davon träumt Christine Negele (63) nicht nur. Schon vor Corona hatte die SPD-Kreisrätin aus Tegernsee ihre Initiative für „ein bezahlbares nachbarschaftliches Wohnen einheimischer Bürger*innen am Tegernsee“ gestartet. Es gab erste Treffen, dann bremste Corona das Projekt zwei Jahre lang aus. Jetzt stellte Negele ihre Idee eines Wohnprojekts, realisierbar über eine Genossenschaft oder als kommunaler Bau, im Tegernseer Stadtrat vor.

Dort kam der Gedanke eines Mehrgenerationenhauses mit echter Gemeinschaft gut an. „Das sollten wir auf dem Schirm haben“, meinte Bürgermeister Johannes Hagn (CSU) nach Negeles Vortrag. Schließlich gebe es einige Objekte, die die Stadt in der Zukunft entwickeln wolle. Gedacht ist zum Beispiel ans Bahnhofsareal, möglicherweise auch ans Horn-Grundstück.

Wie ein solches Wohnprojekt aussehen kann, hat sich Negele vielerorts angeschaut. Auf ihrer Liste möglicher Kooperationspartner steht die Genossenschaft MARO mit Sitz in Ohlstadt im Landkreis Garmisch-Partenkirchen weit oben. Negele ist auch nicht allein. Zu den ersten Treffen ihrer Initiative 2019 kamen rund 50 Interessierte. Manche haben sich inzwischen verabschiedet, weil zu lange nichts realisiert werden konnte. Anderen gefiel nicht, dass kein Eigentum geschaffen wird, sondern Mietwohnungen. Auch die Vorgabe, dass ein echtes Miteinander gelebt werden soll, behagt nicht jedem. Trotzdem dürfte es keinen Mangel an Menschen geben, die gern in ein Generationenhaus ziehen wollen. Negele selbst gehört dazu. „Ich mache das auch für mich“, ließ sie wissen. Ihre Initiative präsentiere sie nicht als SPD-Politikerin, sondern als Tegernseer Bürgerin.

Negele hat sich schon so lange mit dem Thema befasst, dass sie auch die Schwachstellen kennt. „Wichtig ist, dass es von Anfang an einen echten Generationen-Mix gibt“, erklärte sie. Nur so kann das Prinzip Babysitten gegen Hilfe beim Einkauf dauerhaft funktionieren. Ziehen nur Mieter im Rentenalter ein, überaltert die Wohngemeinschaft mit den Jahren, Junge kommen nicht mehr dazu. „Daran sind schon einige Projekte eingegangen“, weiß Negele.

Um zu funktionieren, sollten zum Generationen-Projekt mindestens acht bis zwölf Wohnungen gehören, am besten mit fußläufiger Verbindung zur Ortsmitte. Sie bieten gerade so viel Platz, wie die Bewohner brauchen. Für größere Tischrunden gibt’s einen Gemeinschaftsraum, für Besuch ein Gästezimmer, das nach Absprache alle Bewohner nutzen können.

Für Stadtrat Thomas Mandl (SPD) ist das Modell „wahnsinnig interessant“. Für die Stadt sei es doch „fast erotisch“, wenn sie Häuser nicht nur kaufe, sondern daraus auch ein solches Zuhause gestalte, meinte Mandl. Auch Ursula Janssen (Grüne) signalisierte Unterstützung: „Wir sollten bei der Überplanung des Bahnhofsareals in diese Richtung denken.“

[Merkur, 12.04.2022]

06 Apr

Wohnen mit Mini-Mieten

Augsburg – Johanna Grünwald sitzt in ihrem Sessel mit dem weichen roten Kissen. In der Hand hält sie ein Buch. Die 67-Jährige liebt das Lesen. Hat sie schon immer. Wenn sie im Wohnzimmer ihrer kleinen Fuggerei-Wohnung schmökern kann, ist sie glücklich. Obwohl sie eine spezielle Lupe in die Hand nehmen muss, um die Zeilen zu entziffern. Vor zwölf Jahren erkrankte sie schwer an Gürtelrose. Das Virus griff ihre Augen an. Seitdem hat sie nur noch eine Sehkraft von zehn Prozent. Ihren Beruf als Krankenschwester hat sie verloren, ihre Wohnung konnte sie nicht mehr bezahlen. Johanna Grünwald ist sehr religiös, sie sagt: „Ich bin fest davon überzeugt: Gott hat mich dann in die Fuggerei gelenkt. Hier konnte ich wieder in Würde leben.“

In der Gemeinschaft der Augsburger Sozialsiedlung hat sie Halt gefunden. Im Dezember 2013 zog sie in ihre barrierefreie Erdgeschoss-Wohnung in dem ockergelben Häuschen – drei Jahre, nachdem sie sich um einen der begehrten Plätze in der Siedlung beworben hatte. Drei Bedingungen muss man erfüllen, um eine Chance auf eine Fuggerei-Wohnung zu bekommen: Man muss katholisch, bedürftig und Augsburger sein. Auf den rund 60 Quadratmetern hinter der grünen Holztür hat sich Johanna Grünwald mehr als nur ein Zuhause geschaffen. Sie kann dort wieder selbstbestimmt leben. Die leeren Räume hat sie mit viel Liebe fürs Detail möbliert. Psalm-Tafeln an der Wand und ein Holzkreuz über der Tür zeigen ihren tiefen Glauben. Ihren Glastisch im Wohnzimmer ziert ein Häkeldeckchen. Auf ihm steht immer eine Schale mit Knabbereien. Falls Besuch kommt.

Den erhält Grünwald manchmal unfreiwillig. Die Fuggerei ist eine beliebte Sehenswürdigkeit in Augsburg. Vielen Besuchern ist nicht klar, dass dort immer noch Menschen wohnen. Sie spazieren in die Häuser wie in Museen. Als Grünwald einmal putzte und die Tür offen ließ, standen plötzlich Touristen in ihrem Flur. Als sie den Leuten erklärte, dass es ihre Privatwohnung ist, war ihnen das unangenehm. Mit ihren Nachbarn lacht Grünwald über solche Vorfälle. Die sind ihr eine große Stütze. „Wenn mich die Frau von nebenan ein paar Tage lang nicht sieht, lässt sie jemanden nachschauen, was los ist. Der Zusammenhalt ist einzigartig.“

Dabei fühlten sich die ersten Nächte in der Fuggerei beklemmend an. Jeden Abend um 22 Uhr schließt das Haupttor. Bewohner müssen zwischen 22 Uhr und Mitternacht 50 Cent an einen Nachtwächter zahlen, um das Tor passieren zu können. Bis 4.30 Uhr wird ein Euro fällig. Grünwald muss sich gut überlegen, ob sie abends länger ausgeht. Die Seniorin hat sich anfangs eingesperrt gefühlt. „Aber eigentlich werden wir nur geschützt.“

Zum Dank für diesen Schutz betet Grünwald täglich für die Fuggerei-Angestellten. Ein Vaterunser, ein Ave Maria und ein Glaubensbekenntnis am Tag sind Teil der Miete, seit Jakob Fugger die Sozialsiedlung 1521 gründete. Für einen rheinischen Gulden ließ der Kaufmann damals Tagelöhner und Handwerker in seiner Siedlung wohnen. Im Gegenzug sollten seine Mieter den göttlichen Beistand für ihn und seine Familie erbitten. Dieses Gebot gilt bis heute. Nach wie vor ziert jede Wohnung ein Bild von Jakob Fugger. Ob die Bewohner täglich beten, wird freilich nicht mehr kontrolliert. Für Grünwald ist es selbstverständlich.
Besonders dankbar ist sie den Sozialpädagoginnen Doris Herzog und Michaela Huber. Die helfen jederzeit, wenn die Bedürftigen einen Pflegegrad oder finanzielle Leistungen beantragen müssen. An diesem Vormittag klingelt Huber nur zum Plauschen. „Wir sind da, wenn die Bewohner jemanden zum Reden brauchen“, erklärt sie. Stets zur Stelle ist auch Siedlungs-Schreiner Arndt Baumann. Als er vorbeiradelt, bittet Grünwald ihn, ihren Briefkasten zu reparieren. In der Werkstatt besprechen sie den Auftrag und ratschen.

Reden können die Fuggerei-Bewohner auch beim wöchentlichen gemeinsamen Frühstück. Oder sie gehen zu Ilona Barber. Sie verkauft an der Kasse die Karten für die Touristen. Aufgewachsen ist Barber in einem Zirkus. Später war ihre Liebe die Musik. Sie tourte in den 1970er-Jahren mit Bands, sah viel von der Welt. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland erhielt die heute 72-Jährige wenig Rente. 2014 erhielt sie einen Platz in der Fuggerei.

Dort zahlen die Mieter eine symbolische Kaltmiete von 88 Cent im Jahr. Aber die durch den Krieg explodierenden Energiepreise schlagen auf die Nebenkosten für Heizen und Strom. „Das ist ein großes Problem, auch wenn wir mit Holz-Pellets heizen und ans Fernwärmenetz der Stadt angeschlossen sind“, erklärt Astrid Gabler, Sprecherin der Fuggerschen Stiftungen. Die Siedlungs-Verwalter rechnen die Nebenkosten monatlich ab, damit am Jahresende nicht die große Gesamtsumme fällig wird.
Die Stifter wollen die Fuggerei bewahren und für die Zukunft rüsten. „Das Ziel ist, die Idee der Fuggerei in die Welt zu tragen und so neue Stifter zu begeistern“, sagt Alexander Graf Fugger-Babenhausen. Er ist der Vorsitzende des Fuggerschen Familien-Seniorats, der die Stiftung leitet. Zum 500-jährigen Bestehen haben mehrere Stifter „Fuggereien der Zukunft“ angekündigt. In Litauen entsteht eine Einrichtung gegen Altersarmut und Pflegenotstand. In Sierra Leone sollen junge Frauen in einem Fischerdorf Bildungsangebote und Gesundheitsversorgung erhalten. „Auch München könnte eine Sozialsiedlung gebrauchen“, regt Gabler an. Die Mieten in der Landeshauptstadt werden immer teurer. „Wir merken das, weil so viele Münchner nach Augsburg ziehen und pendeln.“ Wo neue Fuggereien entstehen sollen, wollen die Fuggerschen Stiftungen mit den Augsburgern ab dem 6. Mai auf dem Rathausplatz diskutieren. Die Veranstaltungen dort werden der Höhepunkt des Jubiläums. Im August 2021, als die Fuggerei eigentlich 500. Geburtstag hatte, fielen große Feiern Corona-bedingt aus.
Johanna Grünwald wird mit Spannung die künftigen Fuggerei-Projekte verfolgen. „Ich bete, dass die Stifter ihre Arbeit noch lange weiterführen.“ Sie genießt ihre Ruhe in einem Gärtchen hinter ihrer Wohnung. „Da scheint die Sonne bis zum Abend.“ Oder sie setzt sich wieder mit einem Buch in ihren Lieblingssessel.

[Merkur, 30.04.2022]

06 Apr

SPD: Weniger Einfamilienhäuser

Berlin – Der Neubau von Einfamilienhäusern muss aus Sicht von Bundesbauministerin Klara Geywitz eingedämmt werden, um den Flächenverbrauch zu senken und die Umwelt zu schützen. Es sei „ökonomisch und ökologisch unsinnig“, wenn jede Generation neue Einfamilienhäuser baue, sagte die SPD-Politikerin der „taz“. Anfangs werde noch zu fünft auf 150 Quadratmetern gewohnt, „aber dann ziehen die Kinder aus – und das Haus schrumpft in dem Moment nicht“. Seit den 1950er-Jahren seien hunderttausende Einfamilienhäuser gebaut worden. „In denen leben meist keine Familien mehr, sondern ein oder zwei Senioren.“
Die Lösung sei ein anderer Nutzungszyklus, sagte sie. „Gut wäre, wenn die nächste Generation von jungen Familien alte Häuser erwirbt und saniert. Dafür müssen wir staatliche Anreize setzen. Dann kann man beides vereinbaren: Fläche sparen und den Wunsch vom eigenen Haus ermöglichen.“ In den letzten Jahrzehnten sei die Wohnfläche pro Person weiter gestiegen. Künftig müsse anders gebaut werden, sagte Geywitz – mit kleineren Wohnflächen, aber größeren Gemeinschaftsflächen.

[Merkur, 16.04.2022]