Interview mit Sebastian Oppermann von der Initiative „Gemeinsam anders wohnen“
Es sind harte Zeiten auf dem Wohnungsmarkt. Gerade im bayrischen Oberland sind Mieten und Immobilienpreise hoch, Eigentum zu erwerben oder neu zu bauen, wird aufgrund steigender Baukosten und Hypothekenzinsen immer schwieriger. Viele Einheimische sind gezwungen, wegzuziehen. Gegen diesen Trend wehrt sich die Bürgerinitiative „Gemeinsam anders wohnen“. Sprecher Sebastian Oppermann, im Vorstand des SPD-Ortsverbands Holzkirchen, erklärt im Interview, warum gemeinschaftliche Wohnprojekte immer wichtiger werden – und es dabei längst nicht nur um das Finanzielle geht.
Herr Oppermann, Holzkirchen gehört zum Landkreis Miesbach, einer der teuersten Landkreise deutschlandweit. Haben die hohen Mieten und Immobilienpreise mit der Gründung Ihrer Initiative etwas zu tun?
Das war auf jeden Fall einer der Gründe. Als wir 2017 die Idee zu der Initiative hatten, suchte ich gerade wegen Familienzuwachs in Holzkirchen eine neue Bleibe, was sich aufgrund der damals schon sehr hohen Preise enorm schwierig gestaltete. Heute ist es ja beinahe schon utopisch. Selbst Vorstände können hier in der Region ohne eigene Erbschaft kaum mehr ein Eigenheim erwerben, ohne sich enorm zu verschulden. Da kam mir die Idee eines Stammtisches auf, um eine Initiative für ein gemeinschaftliches Wohnprojekt zu gründen. Unser Ziel ist dabei der Bau einer Wohnanlage zusammen mit einer Genossenschaft für selbstbestimmtes und nachbarschaftliches Wohnen. In diesem Genossenschafts-Konzept werden jeder Mieter und jede Mieterin gleichzeitig Miteigentümer des Projekts. Alle haben eine Stimme und keinem droht die Eigenbedarfskündigung oder ungerechtfertigte Mieterhöhungen.
Genossenschaften gibt es viele in Deutschland. Was macht Ihre Initiative besonders?
Genossenschaften ermöglichen grundsätzlich die gemeinsame Finanzierung von Wohneigentum. Wir möchten gemeinsam leben. Das bedeutet: Wir wollen unseren Nachbarn nicht nur mit dem Namen kennen, wir wollen ihm helfen, wenn er Corona hat, wir wollen, dass unsere Kinder gemeinsam spielen, wir wollen gemeinsam im Garten feiern und am Sonntagabend zusammen Tatort schauen. Gerade während der Pandemie wurde uns allen deutlich: Menschen sind Gesellschaftstiere. Wir möchten uns nicht isolieren. Wir möchten zusammen sein.
Man sagt der Gesellschaft von heute oft nach, dass es nur um Individualismus geht, jeder für sich und der eine gegen den anderen. Ist Ihre Philosophie auch, hier einen Gegenentwurf zu präsentieren?
Wissen Sie, es gibt mir einfach ein gutes Gefühl, wenn ich aus der Tür gehe und mich fragt jemand: „Ich habe dich jetzt zwei Tage nicht gesehen. Geht es dir gut?“ Das sind kleine, menschliche Gesten, die so viel bewirken. Und ja, das sind Komponenten, die heutzutage ein wenig verloren gehen. Dabei ist die Notwendigkeit menschlicher Nähe und des gegenseitigen Helfens so wichtig wie nie.
Verschiedene Parteien sollen bei Ihnen generationenübergreifend unter einem Dach zusammenwohnen, sich gegenseitig unterstützen und innerhalb gemeinsamer Flächen sich austauschen. Ist das die Zukunft des modernen Wohnens?
Es wird beim Thema Wohnen immer unterschiedliche Modelle geben. Aber ja, der Bedarf an solchen Wohnformen wird immer größer. Nicht nur, weil es günstiger ist, um sich zusammenzuschließen. Viele ältere Menschen, die zehn Jahre vor der Rente stehen und wo die Kinder aus dem Haus sind, machen sich Gedanken, wie sie in Zukunft leben wollen. Die wollen sich verkleinern, aus finanziellen Gründen, aber auch, weil sei einfach nicht alleine in ihrem großen Haus sitzen wollen. Wenn sie in einem gemeinsamen Projekt ihr Zuhause finden, wo die Zugänge barrierefrei sind und sie sich in der Gemeinschaft aufgehoben fühlen, müssen diese Menschen häufig auch deutlich später ins Altenheim. Das entlastet wiederum die gesamte Gesellschaft. Ähnlich ist es mit jungen Familien, wo mal die Nachbarin auf die Kinder aufpassen kann, wenn ein dringender Arzttermin oder ein Notfall in der Arbeit ansteht.
Wie eng ist dieses Zusammenleben bei Ihnen zu verstehen?
Am Anfang haben viele gedacht: Die wollen jetzt eine Kommune gründen. Aber nein, so eng soll das dann doch nicht sein. Jede Partei hat seine eigene Wohnung, seinen eigenen Rückzugsraum. Zwischen 25 und 35 Wohnungen sollen es sein, dann kann man sich bei Bedarf auch mal aus dem Weg gehen. Aber es soll bei unserem Projekt viele Gemeinschaftsflächen geben, sowohl draußen in Gärten und auf Spielplätzen als auch drinnen mit zentral gelegenen Gemeinschaftsräumen. Auch einen gemeinsamen Werkraum soll es geben, wo etwa eine Bohrmaschine für alle bereit steht.
Wie weit fortgeschritten ist Ihr gemeinschaftliches Projekt?
Tatsächlich befinden wir uns aktuell im Wartezustand. Wir hatten mal ein Grundstück im Neubaugebiet Maitz in Holzkirchen im Auge, das war allerdings aufgrund des Bebauungsplans finanziell nicht machbar. Aktuell interessieren wir uns für ein Grundstück auf einer Neubaufläche zwischen der Tölzer- und Baumgartenstraße, hier könnte ein Mehrfamilienhaus inklusive einer Kita entstehen, was natürlich sehr gut in unsere Philosophie passen würde. Aber dort gibt es zwischen der Gemeinde und den weiteren Eigentümern Streitigkeiten. Die aktuellen Krisenzeiten machen es da auch nicht leichter. Die Baupreise sind hoch, gewisse Baustoffe kaum verfügbar, da heißt es aktuell abwarten und weiter nach Möglichkeiten Ausschau halten.
Sie sind im SPD-Ortsvorstand, Ihr Kontakt zum Holzkirchner Rathaus ist sicher gut. Wie steht die Marktverwaltung und der Gemeinderat Ihrem Projekt gegenüber?
Ich musste ein bisschen hinarbeiten, aber mittlerweile ist die Akzeptanz für unser Projekt groß. Tatsächlich sehen wir unseren Auftrag als Initiative nicht nur in der Realisierung unseres Wohnprojekts, sondern auch in der gesellschaftlichen und politischen Etablierung unserer Idee. Dazu gehört aber auch ein Mithelfen seitens der politischen Entscheidungsträger vor Ort, etwa markteigene Grundstücke nicht zu verkaufen, sondern per Erbpacht den Bürgern und Bürgerinnen vor Ort für deren sozial verträglichen Projekte zugänglich zu machen. Da hat sich unter anderem durch unsere Engagement viel getan, ein Umdenken ist hier in der Gemeinde mittlerweile deutlich spürbar. Vielen Menschen ist in den vergangenen Jahren klar geworden: Einfach weitermachen geht nicht. Wir brauchen neue Konzepte des Zusammenlebens.
[Merkur, 06.08.2022]