Studie zeigt die Not der Mieter
Gebäude werden durch Neubauten ersetzt, Wohnungen luxussaniert und alteingesessene Mieter entmietet. Die Gentrifizierung schreitet immer weiter voran – im Auftrag der Stadt hat nun die Humboldt-Universität aus Berlin untersucht, wie diese Verdrängung in München stattfindet. Konkret zeigt sich das an einem Beispiel aus der Maxvorstadt.
Die Mieter der Gabelsbergerstraße 77 haben Angst, denn das Anwesen wurde verkauft. Ihr neuer Vermieter ist eine Immobilien GmbH, die auch in Verbindung mit den umstrittenen Immobilienprojekten in der Türkenstraße 52/54 steht. In der Gabelsbergerstraße 77 fürchten die Bewohner nun, „Opfer der Gentrifizierung“ zu werden, erklärt Alain L. Bis jetzt sind die Mieten fair, sagen die Bewohner. Besonders skurril: Vor dem Verkauf musste der ehemalige Besitzer eine Geldstrafe wegen seiner zu niedrigen Mieten zahlen (wir berichteten).
Die Gemeinschaft ist über die Jahre zusammengewachsen. „Ich lebe seit fast 35 Jahren in dem Anwesen“, erzählt Anneliese L. Eine weitere Frau wohnt schon seit 1963 in einem der Gebäude.
Einen Hoffnungsschimmer gibt es aber. Die Gebäude mit den rund 40 Parteien befinden sich im Gebiet der Erhaltungssatzung, deswegen hat die Stadt ein Vorkaufsrecht. Die Mieter forderten die Stadt nun auf, davon Gebrauch zu machen. „Dieser Ausverkauf an allen Ecken und Enden ist nicht das, was wir uns für unser Viertel wünschen“, sagt die Vorsitzende des Bezirksausschusses, Svenja Jarchow-Pongratz (Grüne). Die Verdrängung ist kein exklusives Problem der Maxvorstadt.
Im Auftrag der Stadt hat die Humboldt-Universität aus Berlin untersucht, wie Gentrifzierung genau vonstatten geht. Die Ergebnisse liegen unserer Zeitung bereits vor. Die Studie wurde von Februar 2020 bis März 2021 durchgeführt, exemplarisch an den Stadtvierteln Milbertshofen, Schwabing, Obergiesing und Ramersdorf-Perlach. Für die Untersuchung wurde mit Experten und 51 Münchner Mietern gesprochen, die von Verdrängung betroffen sind oder waren. Denn 13 von ihnen sind bereits ausgezogen. Sie berichten über die miesen Maschen der Immobilieninvestoren.
Klar scheint: Verdrängung geschieht oft nach dem gleichen Schema. Eine Immobilie wird verkauft, der neue Eigentümer will sanieren, modernisieren. Das führt zum einen zu einer hohen Belastung der Mieter, etwa durch Dreck und Baulärm, zum anderen auch zu höheren Mieten. Mit der Ankündigung zur Erhöhung alleine wird bereits Druck aufgebaut. „Die haben mir schon ausgerechnet, dass ich dann drei Euro pro Quadratmeter mehr zahlen müsste“, erzählt ein Teilnehmer der Studie. „Und das würde bei mir so zwischen 200 bis 300 Euro ausmachen. was natürlich ein dickes Ding ist.“ Weitere Teilnehmer berichten zudem von herbeigeführten Heizungsausfällen, Abmahnungen, Diffamierungsversuchen und Drohungen oder vom Austausch von Kellerschlössern. Häufig gehen Mieter schon beim Eigentümerwechsel davon aus, dass demnächst eine Eigenbedarfskündigung ins Haus flattern könnte. Interviewte berichten, dass nach einer solchen Kündigung die Wohnung wenig später wieder im Internet angeboten wurde, teils zum Kauf, teils zur (höheren) Miete. Auch der Dachausbau kann zur Verdrängung führen. Zum einen wird über Monate im Haus gewerkelt, zum anderen kommt nicht selten eine Mieterhöhung, weil Fahrstühle eingebaut werden müssten.
Viele Interviewte berichten zudem davon. dass ihre Miete alle drei Jahre um die maximal möglichen 15 Prozent angehoben wird. Der finanzielle Druck steigt, da absehbar ist, dass Mieten auch künftig angehoben werden. Ein Befragter sagt: „Aber wie gesagt, wo soll ich hin? Natürlich bekomme ich eine Wohnung für 1500 oder für 1800 Euro irgendwo. Oder für 2000. Die habe ich aber nicht.“
So werden Mieter verdrängt, neue, besser verdienende Mieter ziehen ein. Oder die Wohnung wird zur Kapitalanlage genutzt und steht leer. Die alten Mieter finden meist in München keine günstige Wohnung mehr, viele müssen die Stadt verlassen.
Was kann die Stadt aber nun tun? Oft macht sie bereits von Vorkaufsrechten Gebrauch, auch der Bau günstiger Wohnungen wird vorangetrieben. Zudem gibt es eine Novelle des Baugesetzbuches, die auch ein stadtweites Umwandlungsverbot vorsieht. Heißt: Die Verwaltung muss bei jeder Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ihr Einverständnis geben. Damit diese Novelle greift, muss die Staatsregierung München zu einer „Kommune mit angespanntem Wohnungsmarkt“ erklären. Das werde geprüft, sagt der Freistaat. Geprüft wird auch, ob die Stadt im Fall der Gabelsbergerstraße 77 von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen soll. Der Stadtrat soll darüber im Dezember entscheiden.
[Merkur, 25.10.2021]