München – Mit 30 000 Wohnungen zählt die aus der GBW hervorgegangene Dawonia zu den größten Wohnungsunternehmen in München und Süddeutschland. Trotz Wohnungsmangels könnte das Unternehmen aber bald Neubauprojekte auf Eis legen, wie Dawonia-Chef Claus Lehner erläutert.
Am Wohnungsmarkt sieht es düster aus: Die Regierung hat ihr Neubauziel von 400 000 Wohnungen im Jahr krachend verfehlt, die Baugenehmigungen sinken weiter. Investiert die Dawonia überhaupt noch in neue Gebäude?
Wir haben aktuell 44 Baustellen, alle in Bayern. Seit wir vor zehn Jahren von der Bayerischen Landesbank verkauft worden sind, haben wir 3600 Wohnungen gebaut, das sind im Schnitt 360 im Jahr – übrigens das Drei- bis Vierfache wie zu Zeiten, als unser Eigentümer die BayernLB war.
Sie bauen kräftig weiter?
Leider nicht. Mit unseren 44 Baustellen befinden wir uns aktuell auf einem Höhepunkt. Das wird in Zukunft nicht mehr so weitergehen können. Wegen gestiegener Zinsen, vieler neuer Belastungen und höherer Baukosten überprüfen wir gerade jedes geplante Neubauprojekt.
Deutschlands größter Wohnkonzern Vonovia hat angekündigt, in diesem Jahr gar keine Neubauprojekte mehr starten zu wollen. Haben Sie Ihre Vorhaben auch alle verschoben?
Nein, noch nicht. Denn gleichzeitig sehen wir eine hohe Nachfrage nach Wohnraum.
Wie zeigt sich das?
Ein Beispiel: Wir hatten Ende Januar eine Besichtigung für eine Musterwohnung in München, es kamen 500 Interessenten – an einem Tag wohlgemerkt. Das ist selbst für München viel. Es ging um ein Bauprojekt mit 250 Wohnungen, ein Drittel davon gefördert. Selbst wir waren überrascht von dem großen Interesse.
Steuern wir auf eine große Wohnungsnot zu?
So hart das klingt: ja, leider. Ich erwarte, dass in den kommenden Jahren trotz der hohen Nachfrage noch weniger neue Wohnungen gebaut werden. Die Zahl dürfte bei unter 200 000 im Jahr liegen.
Woran liegt das?
Zum einen an den gestiegenen Zinsen: Wir hatten vergangenes Jahr in drei Quartalen Zinserhöhungen insgesamt in Höhe von drei Prozentpunkten – das ist in der Geschichte der Bundesrepublik einmalig. Aber der Staat trägt ebenfalls wesentlich dazu bei, dass Bauen zu teuer wird.
Was spricht noch gegen den Neubau?
Die hohen Baukosten. Immer häufiger steigen während der Bauphase die Preise. Handwerker sagen mir auf der Baustelle, ich müsse jetzt zehn, zwanzig Prozent mehr für Material bezahlen, ansonsten sei ihr Betrieb gefährdet.
Verlieren Investitionen in Immobilien auch wegen der Mietpreisbremsen an Attraktivität?
Natürlich. Eine Mietpreisbremse erschwert eine Investition in Immobilien, das ist einfach so. Und das Problem ist nicht nur die Mietpreisbremse: Die Regulatorik insgesamt hat das Bauen verteuert.
Haben Sie ein Beispiel?
Allein die Anhebung der Grunderwerbsteuer in fast allen Bundesländern auf 6,5 Prozent hat zu deutlich höheren Kosten geführt. Bayern hat das zum Glück nicht getan. Und jetzt kommen wir zum eigentlichen Problem: Man hat vor allem im Bund in den vergangenen Jahren immer so getan, als ob wir ewig Boom hätten. In dieser Zeit fiel es kaum auf, dass die Auflagen für Bauherren weiter verschärft wurden, eine Mietpreisbremse eingeführt wurde und Berlin sogar einen Mietpreisdeckel erhielt. Das hat in Berlin aber dazu geführt, dass der Markt zusammengebrochen ist und die Wohnungsnot verschärft wurde. Glücklicherweise ist das Experiment dann von Karlsruhe gekippt worden.
Das heißt, Wohnungsgesellschaften sind auf hohe Mieten angewiesen?
Eine einfache Rechnung: Wenn wir aktuell bauen wollen, kostet uns das etwa 4500 Euro pro Quadratmeter. Da sind sämtliche Kosten, also auch für Architekt und Planung, miteingerechnet. Hinzu kommen die Grundstückskosten: Im Speckgürtel von München sind das über den Daumen gepeilt etwa 1500 Euro pro Quadratmeter. In Summe macht das etwa 6000 Euro pro Quadratmeter. Wenn ich hier eine Rendite von nur drei Prozent erzielen will, was weit unter der heutigen Inflation und unter den Kreditzinsen liegt, müsste die Miete bei mindestens 15 Euro liegen.
Und in München?
Hier kostet der Quadratmeter Grundstück mindestens 2500 Euro, wenn es gut läuft. Da kommt man dann auf 18 Euro Miete pro Quadratmeter. Für den Großteil der Bevölkerung ist das nicht mehr bezahlbar. Das zeigt das ganze Dilemma des überregulierten Bauens und des Marktes.
Der Engpass bei Mietwohnungen wird noch größer?
Ja, leider, genauso ist es. Hinzu kommt der Bevölkerungszuwachs. Vor zehn Jahren gingen wir von einer Schrumpfung auf unter 80 Millionen aus, jetzt gehen wir wegen der Zuwanderung in Richtung 85 Millionen. Dies macht den Markt zusätzlich eng.
Welche Rolle spielt die Migration bei sozial gefördertem Wohnraum?
Zwischen Juni und Dezember 2022 haben wir eine Million Mitbürger dazubekommen. Grob gerechnet heißt das, dass wir hierdurch einen zusätzlichen Bedarf von einer halben Million vor allem geförderter Wohnungen haben. Allein in Bayern fehlen dadurch 50 000 geförderte Wohnungen.
Der Freistaat wollte bis 2025 über die BayernHeim 10 000 neue Wohnungen bauen, jetzt sind gerade einmal 682 realisiert. Ist das nicht ein Armutszeugnis?
Eine Wohnungsbaugesellschaft ist ein langsames Schiff. Als die BayernHeim gegründet wurde, fand ich die Idee sehr gut. Aber das Ziel von 10 000 Wohnungen in kurzer Frist klang schon damals sehr ambitioniert. Die BayernHeim wird irgendwann Schlagkraft haben, aber eben nicht in drei, vier Jahren sondern in zehn, 15 Jahren.
Wenn das Wohnangebot begrenzt bleibt, die Nachfrage aber hoch: Heißt das, dass die Mieten noch weiter in die Höhe schießen?
Das ist so. Die Mieten werden weiter steigen. In den Ballungsräumen sicherlich zwischen zwei und fünf Prozent im Jahr. Darüber freut sich niemand, wir auch nicht.
Dieser Anstieg gilt auch für Ihre Dawonia-Mieter?
Wenn wir Mieten anpassen, müssen wir uns ans Gesetz halten. Wir dürfen ja nur 15 Prozent in drei Jahren anpassen. Im Schnitt liegt die Mietentwicklung über alle unsere 30 000 Wohnungen bei 2,3 bis 2,5 Prozent im Jahr. Vergleichen Sie das mal mit der Inflationsentwicklung. Auch unsere Kosten steigen.
Trotzdem gibt es Berichte von Mietern, die beklagen, die Dawonia würde den gesetzlichen Rahmen für Mieterhöhungen maximal ausnutzen – in München kam es schon zu Protesten. Wie passt das zusammen?
Es ist richtig, in München haben wir am Ackermannbogen nahe dem Olympiapark ein Gebäude mit geförderten Wohnungen, hier kam es tatsächlich zu Diskussionen. Wir hatten dort die Mieten an die immer noch niedrigen Durchschnittsmieten angepasst, was auch zulässig ist. Mit dem Mieterverein München hatten wir zudem eine Einigung getroffen, dass wir beispielsweise bei großen Familien teilweise auf eine Anpassung verzichten und hier eine Deckelung vornehmen. Aber natürlich gibt es immer Mieter, die das ärgert und sich an die Medien wenden, wenn auch nicht immer zu Recht. Was auch gerne vergessen wird: Am Ackermannbogen liegen die Mieten heute noch immer zwischen circa 10,50 und 13,50 Euro pro Quadratmeter. Noch eines: Nicht selten stecken hinter den Demos politische Parteien, so auch in diesem Fall.
Bauministerin Klara Geywitz will jetzt mit günstigen KfW-Krediten den privaten Wohnungsbau ankurbeln, hinzu kommen 350 Millionen Euro Bauförderung für Familien.
Das ist zu wenig. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein.
Wie viel müsste es stattdessen sein?
Fünf bis zehn Milliarden Euro Förderung mindestens. Der Staat müsste jetzt nicht nur richtig viel Geld in die Hand nehmen, der Fokus müsste auch auf dem geförderten Wohnungsbau liegen.
Manche sagen schon, der Bund bräuchte ein Sondervermögen von 50 Milliarden Euro.
Auch gut. Ich habe mit fünf bis zehn Milliarden einfach eine realistische Zahl gegriffen, die in Berlin durchsetzbar wäre. Aber klar, je mehr Geld, desto effektiver. Ganz wichtig wäre auch, Auflagen zu reduzieren. Und wir brauchen adäquate Grundstücke mit schnellem Baurecht. Die Projektplanung dauert heute zwei Jahre, der Bau noch einmal zwei Jahre. Das ist zu lang.
Ein Deutschland-Tempo auch beim Bauen?
Genau. Und wir bauen zu teuer und zu kompliziert. Ich bin selbst Architekt und habe zehn Jahre im Allgäu gelebt. Als ich Architektur studiert habe, bestanden die Wände von Häusern aus 30 Zentimeter Poroton, das sind Hohlraumziegel für eine bessere Isolierung. Ein Allgäuer Winter mit minus 20 Grad war für diese Wände kein Problem.
Und heute?
Heute verlangen die Behörden 40 bis 50 Zentimeter Wandaufbauten, teilweise mit 17 Zentimeter Styrodur als Isolierung. Diese Art zu bauen ist extrem teuer, aufwendig, und die Auflagen sind kompliziert. In Ländern wie Großbritannien oder Frankreich ist man da viel pragmatischer.
Rechnen Sie in den kommenden Jahren wegen der energetischen Bauweise mit noch höheren Kosten?
Ja. Das Problem ist, dass man in den vergangenen Jahren nicht beachtet hat, dass jede zusätzliche energetische Baumaßnahme nur noch eine minimale Energieersparnis bringt, aber die Kosten exorbitant nach oben treibt. Da hätte man gegensteuern müssen.
Werden Sie die Dawonia-Bestandswohnungen energetisch sanieren lassen?
In den nächsten 20 Jahren wollen wir als Dawonia klimaneutral sein. Wir prüfen daher gerade unseren Bestand und werden in den kommenden Jahren nach und nach Sanierungen umsetzen.
Bis dahin dürften die Nebenkostenabrechnungen Ihrer Mieter hoch bleiben.
Ja, aber dafür kann der Vermieter nichts. Wir versuchen, den Mietern zu helfen. Ein Beispiel: Wir hatten unsere Mieter, die über Gas versorgt werden, angeschrieben und sie gefragt, ob sie nicht frühzeitig eine freiwillige Erhöhung der Nebenkosten um 70 Cent pro Quadratmeter vornehmen wollen, um auf der sicheren Seite zu sein. Und tatsächlich haben 60 Prozent unserer Mieter das auch sofort gemacht.
Was machen Sie mit den 40 Prozent Mietern, denen jetzt eine hohe Nebenkostenabrechnung droht?
Wir bieten jedem Mieter an, das Gespräch mit uns zu suchen, sofern es bei der Nachzahlung Probleme gibt. Dann wird es ein Angebot zur Stundung geben. Das hatten wir auch in der Corona-Krise so gemacht. Wir wollen denen helfen, die Hilfe brauchen.
Es kommt nicht gleich zur Zwangsräumung?
Nein. Das wird definitiv nicht passieren. Unser Angebot, wenn ehrlich Not besteht, zum Beispiel später in Raten zu bezahlen, das steht.
Und was erwarten Sie für die Dawonia 2023?
Die höheren Zinsen und die hohen Baukosten waren ein Schock. Die gesamte Wohnungswirtschaft ist in einer Wartehaltung. Gerade jetzt im anstehenden Wahlkampf in Bayern dürfte das Thema Wohnen wieder einmal sehr emotional diskutiert und wohl auch instrumentalisiert werden. Wir bitten alle, genau hinzuschauen. Was wir brauchen, ist eine Förderkulisse, damit der Neubau wieder in Gang kommt. Wir als Dawonia stehen auf jeden Fall bereit, dann wieder mehr zu bauen.
Interview: Sebastian Hölzle, Georg Anastasiadis, Corinna Maier
[Merkur, 15.02.2023]