Zur Freude von Pendlern und Klimaschützern setzt der Münchner Verkehrsverbund immer mehr Busse ein. Für die Fahrer selbst ist die Metropolregion jedoch unattraktiv geworden – vor allem wegen der hohen Mieten. Bei einem Busunternehmer heißt es deshalb: Biete Tariflohn und Apartment.
Schlacht – Alles drängt nach München. Nirgends haben so viele Dax-Konzerne ihren Sitz, auch Microsoft hat hier seine Deutschland-Zentrale. Und die Universitäten sowie die Nähe zu den Bergen, Österreich und Italien locken. Die Schattenseite: Die Mieten sind in den letzten zehn Jahren um mehr als 60 Prozent gestiegen. Für viele Angestellte lohnt es sich kaum noch, in und um München zu arbeiten, wenn woanders vergleichbare Löhne gezahlt werden. Arbeitgeber in der Metropolregion, die das nicht über den Lohn ausgleichen können, haben arge Probleme, Personal zu finden – und setzen deshalb auf ein schon tot geglaubtes Konzept: die Werkswohnung.
„Anders bekomme ich keine Leute mehr“, sagt zum Beispiel Josef Ettenhuber aus dem Landkreis Ebersberg. Er ist Busunternehmer und bedient mit 132 Bussen Linien des Münchner Verkehrsverbunds (MVV). 132 Busse bedeutet jede Menge Fahrer. Und die sind am engen Markt kaum noch zu finden. Ettenhuber bereitet das Kopfzerbrechen. Einfach mehr Gehalt zahlen, das könne er nicht, erklärt er. „Die Linien werden vom MVV ausgeschrieben – und der Anbieter mit dem günstigsten Angebot erhält den Zuschlag.“ Dabei gebe es nur wenig Spielraum, denn der Verkehrsverbund setze den Tarifabschluss im privaten Omnibusgewerbe voraus.
Josef Ettenhuber hat 4 Mio. Euro investiert
Eigentlich sind Tarifverträge für Arbeitnehmer ein Vorteil, den Haken daran beschreibt Ettenhuber so: „Der Tarif wird für ganz Bayern ausgehandelt. Das heißt: In Zwiesel in Niederbayern gilt dasselbe wie in München.“ Laut dem Immobilienportal „Immowelt“ ist eine Münchner Wohnung oft kaum unter 20 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter zu haben – im niederbayerischen Zwiesel bekommt man für ein Drittel des Preises eine Wohnung. Das MVV-Land sei wegen der Lebenshaltungskosten für auswärtige Fahrer unattraktiv, sagt Ettenhuber: „Sie bekommen niemanden aus Deutschland, weil alle Verkehrsbetriebe händeringend Fahrer suchen. Da zieht niemand nach München.“ Die Fahrer könnten sich als ausgebildete Fachkräfte Ansprüche erlauben. Die Lösung für viele Betriebe sind Fahrer aus Osteuropa. „Wir bekommen viele Leute aus Kroatien, Rumänien und Serbien. Die arbeiten oft nur eine gewisse Zeit hier, verdienen ihr Geld und gehen dann in ihr Heimatland zurück“, sagt Ettenhuber. Dafür muss der Unternehmer aber in Vorleistung gehen. „Die Fahrer wollen das verdiente Geld ja nicht für die Miete ausgeben, sondern mit zu ihren Familien nehmen.“
Josef Ettenhuber und seine zwei Brüder haben deshalb investiert, allein rund vier Millionen Euro für Apartments direkt neben der Firmenzentrale im Glonner Ortsteil Schlacht im Kreis Ebersberg. „Früher hatten wir Container“, erklärt Ettenhuber, während er über den Firmenhof auf das Haus am Rande des Grundstücks zugeht. Ein dreistöckiger Neubau für 40 Parteien, in dem ein Teil seiner Fahrer wohnt.
Ein Apartment kostet 450 Euro Miete – warm
Einer ist Claudiu-Emanuel Acsinciuc. Der 48-jährige Rumäne war im Juli der erste Mieter im neuen Haus. „Es ist wie in einem Hotel“, sagt er zufrieden. Sein Zimmer ist bescheiden, aber hochwertig. Beheizter Steinboden in Holzoptik, ein Bett und ein Tischchen, auf dem eine Mikrowelle und eine Kaffeemaschine stehen. Zwei Türen führen in Küche und Badezimmer, die sich Acsinciuc mit seinem Nachbarn teilt.
Die Räume wirken anonym, aber modern und sauber. Tritt Acsinciuc auf den Balkon, sieht er das Nachbarhaus, ein Bau aus den 1970ern, in dem ebenfalls Mitarbeiterapartments sind. Davor steht ein überdachter Freisitz, auf dem die Fahrer gerne beisammen sind. Ansonsten gibt es in Schlacht nicht viel: ein Café, einen Hofladen – und viel Natur. Acsinciuc reicht das: „Ich gehe aus der Tür und bin bei meinem Bus – das spart mir jeden Tag viel Zeit und Geld.“
Der Rumäne zahlt 450 Euro Miete. Warm. Das kostet jedes von Josef Ettenhubers Zimmern. Für Acsinciuc ist das ein guter Handel, denn so kann er selbst bestimmen, wie viel ihm von seinem Tariflohn bleibt. Der Tarif, das sind je nach Berufserfahrung zwischen 2205,95 und 2404,81 Euro brutto.
Josef Ettenhuber betont: „Es müsste für den Tarif einen München-Zuschuss geben, damit die Arbeit auch hier attraktiv bleibt.“ Denn während der MVV seine Takte zur Freude der Pendler verstärkt, brauchen die Busunternehmer immer mehr Fahrer, um die zusätzlichen Busse zu besetzen. „Und langsam kommen sie nicht mehr von alleine. Ich überlege gerade, ob ich es mit Facebook-Werbung versuchen soll.“
Langfristig komme ein weiteres Problem dazu: „Die Apartments sind ja nicht darauf ausgelegt, von einer Familie bewohnt zu werden“, sagt der Busunternehmer. Zwar seien seine Mietverträge unbefristet, aber im Grunde nur als Starthilfe gedacht: „Wer dauerhaft hier arbeiten will, sollte sich schon irgendwann etwas Eigenes suchen, damit der nächste Fahrer einziehen kann.“ Doch dann wird das MVV-Gebiet für viele wieder unrentabel.
[Merkur, 03.11.2021]