26 Okt

Neues Baurecht soll allen helfen

Fischbachau – Die Kreisbäuerin hatte Gesprächsbedarf. Und den meldete sie an, bevor die Zuhörer im voll besetzten Sitzungssaal überhaupt wussten, was genau der auf der Tagesordnung des Fischbachauer Gemeinderats stehende „Grundsatzbeschluss zur Wohnbaulandentwicklung“ überhaupt beinhalten soll. Bei der vorbereitenden Klausurtagung zu diesem Thema habe sie den Eindruck gewonnen, schilderte Brigitta Regauer (CSU), dass viele ihrer Ratskollegen nur über Halbwissen zu den landwirtschaftlichen Betrieben im Leitzachtal verfügen würden. Auf dieser Basis dürfe man aber keinen so weitreichenden Beschluss fassen. Regauer beantragte daher, die öffentliche Behandlung zu vertagen und vorher einen Experten des Bayerischen Bauernverbands (BBV) zurate zu ziehen. „Damit aus Meinung Wissen wird.“

Erst im Verlauf der daraus folgenden Diskussion wurde deutlich, woran sich Regauer störte: am im Grundsatzbeschluss fixierten Baulandentwicklungsmodell (ausführliche Erläuterung siehe Kasten). Dieses sieht kurz zusammengefasst vor, dass im Außenbereich nur noch dann Bauland ausgewiesen wird, wenn der jeweilige Eigentümer 50 Prozent der im Planungsumgriff liegenden Grundstücksfläche zum Baulanderwartungspreis (zehn Prozent des Bodenrichtwerts für Wohnbebauung) an die Gemeinde verkauft. Die wiederum veräußert die Fläche für 50 Prozent des Bodenrichtwerts an Einheimische, die auf dem freien Markt keine Chance haben, an bezahlbare Grundstücke zu kommen.

Auch wenn diese Regelung für alle Grundeigentümer gilt, sah Regauer hier vor allem die Landwirte als Betroffene. „So eine Wertabschöpfung ist kein Pipifax“, kritisierte sie. Das habe Folgen für die Betriebe, die zudem auch noch Steuern zahlen müssten und obendrein durch die Bebauung einen Teil ihrer Bewirtschaftungsfläche verlieren würden.

Bürgermeister Stefan Deingruber (CSU) ließ sich von der harschen Kritik aus seiner eigenen Fraktion nicht beirren. Die Gemeinde sei laut Bayerischer Verfassung dem Allgemeinwohl verpflichtet. Dazu gehöre auch, allen Bürgern den Zugang zu bezahlbarem Grund und Boden zu verschaffen. Dies sei Voraussetzung für den Erhalt einer sozial ausgewogenen Bevölkerungsstruktur. Zudem könne es sich Fischbachau auf Dauer nicht leisten, die Wertsteigerung von Grün- in Bauland (von 25 Euro auf 1000 Euro pro Quadratmeter) rein den privaten Eigentümern zu überlassen und auf der anderen Seite die Kosten für den notwendigen Ausbau der Infrastruktur von Straßen bis hin zur Kinderbetreuung selbst zu tragen.
Deutlich schärfer drückten sich die anderen Ratsmitglieder aus. Man habe sich einen gesamten Samstagvormittag zusammengesetzt, um dieses Modell auszuarbeiten, sagte etwa Thomas Kantenseder (FaB). „Und jetzt sollen wir wieder von vorne anfangen?“

Auch Martin Bacher (FWG) bezweifelte, dass die Hinzuziehung eines externen Experten etwas Neues ergeben würde: „Da drehen wir uns nur im Kreis.“ Vielmehr habe man den Bürgern versprochen, in dieser Sache bald tätig zu werden. „Es gehört sich nicht, dass wir es jetzt noch mal vertagen.“
Auch Simon Irger (FWG) erinnerte, dass viele Anfragen auf Bauland für Einheimische auf Halde lägen. In den Wahlprogrammen sämtlicher Fraktionen sei die Schaffung bezahlbaren Wohnraums gestanden, erinnerte Michael Gartmaier (CSU). „Auch ich arbeite hart und möchte mir mal was aufbauen“, sagte er und forderte mit Bernhard Padeller (FaB) und Eva Köhler (Grüne) seine Ratskollegen auf, den Grundsatzbeschluss wie vorgesehen öffentlich und Punkt für Punkt zu bearbeiten.

Das tat das Gremium auch. Regauers Antrag fiel mit 3:16-Stimmen durch. Ebenso wie Andreas Gschwendtners Vorstoß, den Passus zum Verzicht auf einen Zwischenerwerb der Gemeinde, wenn nur eine Wohneinheit zur Selbstnutzung oder Vermietung nach sozialen Kriterien entstehen soll, auf mehrere von Einheimischen in Anspruch genommene Wohneinheiten zu erweitern. „Zum Beispiel, wenn mehrere Familien zusammen etwas bauen wollen.“ Man könne das System gern bei Spekulanten anwenden, meinte Gschwendtner (CSU), „aber nicht bei einzelnen Bürgern, denen es wirklich weh tut“.

Da platzte Thomas Kantenseder (FaB) der Kragen. „Das ist das egoistische Denken der Landwirte. Ihr habt Privilegien, die sonst keiner hat“, schimpfte er. Bernhard Kafl (FWG) betonte, dass ja niemand gezwungen sei, Baurecht zu beantragen, sondern auf seinen Wiesen auch einfach weiter „Radieserl anbauen oder Schafe halten“ könne. Etwas weniger emotional drückte Deingruber aus, dass die Gemeinde nur dann tätig werde, wenn der Bedarf gegeben sei: „Es geht bei diesem Beschluss nur um das Wie, nicht um das Ob.“

Auszüge aus dem Grundsatzbeschluss

Der vom Gemeinderat gefasste Grundsatzbeschluss zur Baulandentwicklung in Fischbachau gliedert sich in eine Präambel und elf Leitlinien. Erstere begründet die Notwendigkeit zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum mit den stark gestiegenen Bodenrichtwerten und dem daraus resultierenden drohenden Wegzug von jungen Familien und älteren Bürgern sowie Personalmangel vor allem in Gastronomie und Hotellerie. Um eine „Mobilisierung von Bauland“ zu erwirken und damit dafür zu sorgen, dass alle Bürger darauf Zugriff bekommen – egal ob in Eigentum, Erbbaurecht oder Miete –, sollen bei der Ausweisung von neuem Baurecht folgende Leitlinien gelten:

  1. Außenbereichsflächen werden nur dann zu Bauland, wenn der Grundstückseigentümer 50 Prozent (in begründeten Einzelfällen 30 Prozent) der Fläche in einem städtebaulichen Zielsicherungsvertrag zum Baulanderwartungspreis (zehn Prozent des Bodenrichtwerts) an die Gemeinde verkauft. Die wiederum veräußert die Grundstücke zum Preis von 50 Prozent des Bodenrichtwerts in einem Einheimischenmodell.
  2. Der Erwerb durch die Gemeinde erfolgt zu einem möglichst frühen Zeitpunkt.
  3. Erschließungs- und öffentliche Grünflächen sind anteilig von allen Grundstückseigentümern einzubringen.
  4. Die Zielerfüllung bei Weiterveräußerung ist durch Vorgaben (Baupflicht innerhalb von fünf Jahren, Erstwohnsitzbindung) sicherzustellen.
  5. Planungen, deren primäres Ziel nicht die Schaffung von Wohnbauland ist, werden als Einzelfallentscheidung behandelt.
  6. Bei neuem Baurecht oder Nachverdichtung im Innenbereich erfolgt ebenfalls eine Einzelfallentscheidung.
  7. Jeder Grundeigentümer hat ein Rücktrittsrecht vom Verkauf an die Gemeinde, wenn er innerhalb einer bestimmten Frist kein Bauland ausgewiesen bekommt.
  8. Sofern nur Baurecht für eine Wohneinheit entstehen soll, erfolgt kein Zwischenerwerb durch die Gemeinde.
  9. Die Eigentümer werden an den Kosten für Baureifmachung und Erschließung beteiligt.
  10. Der Grundsatzbeschluss entfaltet keinen Anspruch auf Baurecht. Dieses wird nur unter Achtung gesetzlicher Vorgaben und Abwägung aller Belange ausgewiesen.
  11. Die Gemeinde behält sich Abweichungen von den Leitlinien in begründeten Einzelfällen vor.

[Merkur, 26.10.2022]

18 Okt

Lebensqualität fördern und alles transparent darstellen

Holzkirchen – Wohnraum schaffen, aber umsichtig mit Flächen umgehen – ein Dilemma, vor dem Kommunen tagtäglich stehen. Alfons Besel, Bürgermeister in Gmund, kennt diese Problematik und hat für seine Gemeinde eine Leitlinie gefunden: die Gemeinwohlökonomie (GWÖ). Welche Vorteile die GWÖ für Kommunen, Unternehmen und Vereine bietet – darum ging es nun bei einer Podiumsdiskussion in Holzkirchen. Der Verein Kulturvision hatte dazu in seiner Veranstaltungsreihe „anders wachsen“ eingeladen.

Gmund hat sich als erste Kommune im Landkreis entschlossen, eine Gemeinwohl-Bilanz zu erstellen. Bürgermeister Besel begründete: „In Gmund ist das naheliegend, denn am Rathaus ist eine Inschrift ‚Oberstes Gesetz ist das allgemeine Wohl‘.“ Der Gemeinderat habe einstimmig beschlossen, die kommunalpolitische Ausrichtung nachhaltig und enkeltauglich zu gestalten. Als Imker spüre er die Veränderungen und wisse um den Handlungsbedarf.

Die GWÖ-Prinzipien seien klar, da gehe es um Selbstverpflichtungen, aber auch um den Umgang mit Zielkonflikten, wie beispielsweise die Balance zwischen dem Schaffen von Wohnraum und Flächenverbrauch. „GWÖ ist für mich die Klammer, ein tolles Tool.“ Die Verwaltung habe mitgezogen, erste Arbeitsgruppen hätten ihre Arbeit aufgenommen.

Das Gute daran sei, meinte Besel, dass es nicht um Verbote und Gebote gehe, sondern um die Frage: Wie will ich sein? In Gmund sei man jetzt dabei, anhand von Indikatoren zu messen, wo man stehe. Dabei könne man von der ersten in Bayern zertifizierten Gemeinde Kirchanschöring lernen. Ihm gehe es um Lebensqualität und Daseinsfürsorge ebenso wie um Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, sagte Besel. GWÖ sei ein gutes Instrumentarium, alles transparent und mit der Bevölkerung darzustellen.

Harro Colshorn arbeitet in seiner Biogärtnerei in Bruckmühl/Vagen, Kreis Rosenheim, schon seit vielen Jahren nach den Prinzipien der GWÖ und ist auch ehrenamtlich bei der Initiative tätig. Er habe alte bäuerliche Werte erhalten und mit neuem Leben erfüllen wollen, sagte er. Die Verantwortung für Mensch, Tier, Pflanze und Boden sei es, die ihn für die Arbeit im Sinne des Gemeinwohls motiviere. Das treffe ebenso auf andere Branchen zu. Mit der GWÖ könne jeder Unternehmer überprüfen, was er bereits leiste, wo es Entwicklungsbedarf gebe und wie es nach außen getragen werden könne.

Welche Vorteile die Gemeinwohlökonomie für Betriebe habe, erklärte Kerstin Trümper-Kumaus von der Regionalgruppe GWÖ Mangfalltal. Nicht nur, dass Kunden zunehmend für nachhaltig produzierte Produkte sensibilisiert seien. Wichtig sei auch: „Der gut ausgebildete Nachwuchs sucht sich Unternehmen, die seinen Bedürfnissen nach Arbeitskultur und Work-Life-Balance entsprechen.“ Beim derzeitigen Fachkräftemangel ist ein Betrieb damit schnell für Bewerber attraktiver.

[Merkur, 18.10.2022]

27 Sep

Eine gute Geschichte erzählen

Mit der Podiumsdiskussion „Welche Vorteile bietet die Gemeinwohlökonomie für Unternehmen, Kommunen und Vereine?“ startete der 7. Zyklus der Veranstaltungsreihe „anders wachsen“ von KulturVision e.V. im KULTUR im Oberbräu Holzkirchen. Die Argumente der Experten überzeugten.

„Es geht darum, eine gute Geschichte zu erzählen.“

„So wie wir die Welt erfahren, so handeln wir.“ Mit diesem Satz des amerikanischen Psychiaters Ronald D. Laying startete Moderatorin Monika Ziegler die Matinee. Eine Viertelstunde Medienkonsum reichten aus, um die Stimmung eines Menschen von neutral zu negativ zu verändern, erklärte sie und betonte: „Aber auch eine gute Geschichte hat eine enorme Ansteckungskraft. Eine solche gute Geschichte wolle man heute erzählen.“

„Ein gutes Leben für alle“

das Motto der GWÖ

Das Gemeinwohl, so steht es auf dem Roll-Up der Gemeinwohlökonomie, ist in der Bayerischen Verfassung verankert.: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl.“ Wie dies umgesetzt werden kann, hat der österreichische Pionier Christian Felber in seinen Büchern niedergelegt. Er war 2019 auf Einladung von „anders wachsen“ im Landkreis zu Gast und trug seine Ideen vor einem vollen Saal vor.
Die anschließend gegründete und während der Pandemie versandete Regionalgruppe GWÖ wurde jüngst von Kerstin Trümper-Kumaus und Timm Jelitschek wieder belebt. „Ein gutes Leben für alle“, dieses Motto von GWÖ habe sie fasziniert und bewogen, sich ehrenamtlich einzusetzen, erklärte Kerstin Trümper-Kumaus. Eine Wirtschaft, in der es nicht nur um Profit gehe, sondern auch darum, wie wir miteinander umgehen und die vielleicht gerade deshalb erfolgreich ist, wolle sie unterstützen.

Als erste Kommune im Landkreis Miesbach hat sich Gmund entschlossen, eine Gemeinwohlbilanz zu erstellen. Bürgermeister Alfons Besel begründete: „In Gmund ist das naheliegend, denn am Rathaus ist eine Inschrift ‚Oberstes Gesetz ist das allgemeine Wohl‘.“ Der Gemeinderat habe einstimmig beschlossen, die kommunalpolitische Ausrichtung nachhaltig und enkeltauglich zu gestalten. Als Imker spüre er die Veränderungen und wisse um den Handlungsbedarf.
Selbstverpflichtungen und Umgang mit Zielkonflikten

Die GWÖ-Prinzipien seien klar, da gehe es um Selbstverpflichtungen, aber auch um den Umgang mit Zielkonflikten, wie beispielsweise die Balance zwischen dem Schaffen von Wohnraum und Flächenverbrauch. „GWÖ ist für mich die Klammer, ein tolles Tool.“ Auch die Verwaltung habe mitgezogen und erste Arbeitsgruppen hätten ihre Arbeit aufgenommen.

Die Grundsätze der GWÖ

Harro Colshorn arbeitet schon seit zig Jahren nach den Prinzipien von GWÖ in seiner Biogärtnerei und ist auch ehrenamtlich bei der Initiative tätig. Er habe alte bäuerliche Werte erhalten und mit neuem Leben erfüllen wollen, sagte er. Die Verantwortung für Mensch, Tier, Pflanze und Boden sei es, die ihn für die Arbeit im Sinne des Gemeinwohls motiviere. Das treffe ebenso für andere Branchen zu. Mit GWÖ könne ein jeder Unternehmer überprüfen, was er bereits leiste, wo es Entwicklungsbedarf gebe und wie es nach außen getragen werden könne. Es gehe um die Haltung jedes einzelnen.

Diese Überprüfung, erklärte Kerstin Trümper-Kumaus, laufe über eine Bilanz mit 20 Matrixpunkten, anhand derer jeder Einzelne, jedes Unternehmen, jede Kommune die Arbeit einschätzen könne. Das Gute daran sei, meinte Alfons Besel, dass es nicht um Verbote und Gebote gehe, sondern dass die Frage gestellt werde, wie will ich sein. In Gmund sei man jetzt dabei, anhand von Indikatoren zu messen, wo man stehe. Dabei könne man von der ersten in Bayern zertifizierten Gemeinde Kirchanschöring lernen. Ihm gehe es um Lebensqualität und Daseinsfürsorge ebenso wie um Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. GWÖ sei ein gutes Instrumentarium, alles transparent und mit der Bevölkerung darzustellen.

In Deutschland gebe es inzwischen tausend zertifizierte Unternehmen, aber weitaus mehr, die auf dem Weg der Bilanzierung seien, erklärte Harro Colshorn. Auch kommunale Betriebe würden sich der GWÖ anschließen. Rechtliche und ökonomische Vorteile gebe es für die Unternehmen nicht. „Wer nachhaltig wirtschaftet, hat höhere Kosten und weniger Erträge“, konstatierte er. Um die Wettbewerbsverzerrungen abzuschaffen, müssten dringend die Subventionen in Milliardenhöhe abgeschafft werden. „Wir bedienen eine Nische für Konsumenten, die sich höhere Preise leisten können.“

Die Vorteile der GWÖ für Firmen

Die Vorteile der GWÖ für Unternehmen liegen im derzeitigen Fachkräftemangel darin, dass sie für Bewerber attraktiver sind, betonte Kerstin Trümper-Kumaus. „Der gut ausgebildete Nachwuchs sucht sich Unternehmen, die seinen Bedürfnissen nach Arbeitskultur und Work-Life-Balance entsprechen.“ Auch Kunden seien zunehmend für nachhaltig produzierte Produkte sensibilisiert.

Eine lebenswerte Kommune, ein attraktives Unternehmen, das also zeichnet GWÖ aus. Die Philosophie ist aber auch für Vereine und den Einzelnen interessant. Vereine arbeiten eh schon vielfach nach den Prinzipien und könnten durch eine Bilanzierung ihr Image verbessern und Privatpersonen ihre Lebensweise verändern.

Die Initiative „Enkeltauglich leben“, vor der Pandemie von „anders wachsen“ erfolgreich durchgeführt, sollte wieder aufleben, war ein Ergebnis der lebhaften Diskussion des interessierten Publikums. „Zuhören und Bewusstwerden, was Gemeinwohl ist“, das sei die richtige Zielsetzung, meinte Harro Colshorn.

„Die Geschichte der Gemeinwohlökonomie ist eine gute Geschichte und muss hinausgetragen werden“, schloss Moderatorin Monika Ziegler die Podiumsdiskussion.

[KulturVision, 27.10.2022]


https://www.kulturvision-aktuell.de/vorteile-der-gwoe-anders-wachsen-holzkirchen-2022/

27 Sep

Kraft sammeln für Millionenprojekt

Die Baugenossenschaft Holzkirchen sammelt Kraft für den nächsten großen Sprung: In zwei Jahren soll endlich die Generalsanierung des „Polizistenblocks“ in der Baumgartenstraße 26 angepackt werden. In der Generalversammlung kam jetzt auch die aktuelle Energiekrise zur Sprache, deren Folgen viele der 219 Mieter fürchten. Neubaupläne sind in sehr weite Ferne gerückt.

Holzkirchen – Die Renovierungskampagne der Baugenossenschaft Holzkirchen läuft seit Jahren und sie kostet viel Geld. Zwölf Millionen Euro flossen seit 2012 in die Modernisierung der teils sehr alten Immobilien. Was die Ertüchtigung ganzer Blöcke anbelangt, verordnete sich die Baugenossenschaft 2019 eine Verschnaufpause, um finanziell wieder ein Polster anzusammeln. Im Vorjahr, teilte Vorstandsvorsitzender Torsten Altevers jetzt in der Generalversammlung mit, wuchsen die Rücklagen wieder auf 890.400 Euro an.

Die Zeit sei gekommen, sagt Altevers auf Anfrage, um das nächste Großprojekt anzupacken: 2024 werden die zwölf Wohnungen in der Baumgartenstraße 26 einer Generalsanierung unterzogen. „Seit Jahren unser Sorgenkind“, räumt Altevers ein, „dort muss jetzt was passieren.“ Die Kosten schätzt der Vorsitzende auf jenseits einer Million Euro. Zusätzlich zu diesem Kraftakt sind laufende Wohnungsrenovierungen zu stemmen, wenn es zu Mieterwechseln kommt. Über 210.000 Euro waren dafür in 2021 fällig. „Heuer zeichnet sich ein genauso hoher Aufwand ab“, sagt Altevers.

Dabei werden im Jahr nur fünf bis zehn Einheiten frei. Für die Warteliste, auf der mehrere Hundert Namen stehen, ist das keine Entlastung. „Jedes Jahr wird die Liste länger“, sagt Altervers, „uns erreichen immer mehr Anfragen.“ Die enorme Nachfrage ist kein Wunder, da die Baugenossenschaft in der hochpreisigen Mietregion Holzkirchen fast unglaubliche Preise aufruft: Selbst für Wohnungen mit Zentralheizung sind nur 9,50 Euro pro Quadratmeter fällig. 2019 hatte es eine Erhöhung um einen Euro gegeben. „Ob es weitere Erhöhungen gibt, werden wir noch besprechen“, kündigt Altevers an.

Das größere Problem für viele Mieter sind derzeit die Energiekosten. Die meisten Wohnungen hängen an der Fernwärme der Gemeindewerke, auch der „Polizistenblock“ soll 2024 dazukommen. Einige Einheiten werden indes noch mit Öl, Gas oder Strom geheizt. „Die Leute müssen Unsummen dafür zahlen“, fürchtet Altevers, „wir haben fest vor, baldmöglichst alle auf Fernwärme umzustellen.“ Vorsorglich habe man bereits die Nebenkosten-Abschläge angehoben, „damit der Brocken, der da nachkommt, nicht ganz so groß wird“.

Auch von den allgegenwärtigen Liefer- und Materialproblemen ist die Baugenossenschaft betroffen. Der überfällige Einbau von vier Aufzügen für die 40 Wohnungen in der Birkenstraße musste ins nächste Jahr geschoben werden. Und immer häufiger wird Altevers nach einem möglichen Neubau in der Lindenstraße gefragt. „Erst wenn der Bestand gut dasteht, können wir über die Schaffung zusätzlicher Wohneinheiten reden“, betont der Vorsitzende.

Im Führungsteam ging heuer eine Ära zu Ende: Nach 34 Jahren in Vorstand und Aufsichtsrat verabschiedete sich Hans Nitsch. Für ihn wählte die Generalversammlung Nikola Würzhuber in den dreiköpfigen Vorstand. Der Aufsichtsrat zählt künftig fünf statt vier Mitglieder. Wie Aufsichtsratsvorsitzender Werner Bauer erklärte, soll der 34-jährige Manuel Blank das Team verjüngen. Die Versammlung war einverstanden. Zudem wurde Christine Blank für weitere drei Jahre in das Kontrollgremium bestellt.

[Merkur, 27.09.2022]

15 Sep

Instrument für mehr Wohnraum

Freistaat setzt Bauland-Gesetz um – allerdings nicht vollständig

München erhält mehr Instrumente, um Wohnraum zu schaffen. Das bayerische Bauministerium wird am Freitag eine Verordnung erlassen, die es der Stadt künftig ermöglicht, ohne eine Änderung von Bebauungsplänen neue Wohnhäuser zu errichten, bestehende aufzustocken oder Wohngebiete nachzuverdichten. Damit setzt der Freistaat das sogenannte Baulandmobilisierungsgesetz um. Das hatten zuvor unter anderem OB Dieter Reiter (SPD) und der Chef der bayerischen SPD sowie der Landtagsfraktion, Florian von Brunn, mehrfach eingefordert.

Der bayerische Bauminister Christian Bernreiter (CSU) sieht in der Umsetzung des neuen Gesetzes eine Chance, mehr neuen Wohnraum gezielt in den Städten und Gemeinden zu schaffen, in denen viele Menschen danach suchen. „Außerdem erhalten die Städte und Gemeinden an brachliegenden oder unbebauten Grundstücken ein erweitertes Vorkaufsrecht.“

Das Baulandmobilisierungsgesetz ist eine Novelle des Baugesetzbuches. Der Ministerrat hatte Ende vergangenen Jahres entschieden, von ihr Gebrauch zu machen. Auf dieser Grundlage können in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt besondere Regeln gelten, sofern die jeweilige Landesregierung bestimmte Kommunen als solche mit „angespanntem Wohnungsmarkt“ etikettiert. Das gilt nun in 208 von insgesamt 2056 Städten, Märkten und Gemeinden.

„Jedem ist klar, dass Mietwohnungen vor allem in den großen Städten knapp und teuer sind“, sagt Bernreiter. „Deswegen tun sich Stadtstaaten mit dieser Verordnung auch leicht. Aber Bayern ist ein Flächenstaat. Wir können also nicht nur die Situation in München anschauen, sondern müssen den ganzen Freistaat in den Blick nehmen.“

Kritik gibt es dennoch. Denn das neue Gesetz sieht auch ein Umwandlungsverbot vor. Wenn jemand beispielsweise Miet- in Eigentumswohnungen umwandeln möchte, hätte die Stadt aber einer gewissen Zahl an betroffenen Wohnungen ein Vetorecht. Intention dieses Instrumentes ist der Bestandsschutz. Doch davon finde sich in der bayerischen Verordnung nichts, sagt SPD-Chef von Brunn. „Minister Bernreiter versucht, uns eine Halbe Bier als Mass zu verkaufen. Das wichtige Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen fehlt.“ Ähnlich sieht das Volker Rastätter vom Mieterverein. „Es reicht nicht, nur die Neubauten in den Blick zu nehmen. Wir brauchen auch den Schutz für Bestandsmieter.“

[Merkur, 15.09.2022]

31 Aug

Ideen für’s halb leere Einfamilienhaus

Wer kennt sie nicht: großflächige Wohnsiedlungen mit Einfamilienhäusern, die nur noch von einer oder zwei Personen bewohnt werden, nachdem die Kinder ausgezogen sind – und gleichzeitig ist (bezahlbarer) Wohnraum so knapp wie noch nie zuvor. Lassen sich aus diesen beiden Phänomenen gemeinsame Lösungen erarbeiten? Diese Frage und mögliche Antworten sind Thema der Leerstandskonferenz „Jemand daheim?“ von Mittwoch, 21., bis Freitag, 23. September, in der Alten Spinnerei in Kolbermoor. Mitveranstalter ist die Leader-Region Miesbacher Land. Auf dem Programm stehen Fachvorträge und Diskussionsrunden mit Experten aus dem In- und Ausland sowie Bustouren zur Besichtigung einiger Best-Practice Projekte in der Region zu Umbau, Zwischen- und Wiedernutzung von Einfamilienhäusern. Die Veranstaltung beginnt am Mittwoch mit einem Kinoabend. Die Konferenz startet am Donnerstag um 9 Uhr und endet am Freitag um 13 Uhr. Die Teilnahme an Konferenz und Bustouren ist kostenlos, für Speisen und Getränke wird eine Pauschale in Höhe von 99 Euro erhoben. Einige Themen der Vorträge: Vielfalt an Wohnformen, Potenziale der Bauleitplanung, Idee eines Flächenzertifikathandels. Die Bustouren führen unter anderem zu Wohnprojekten in Gmund und an den Klosteranger in Weyarn. Detailliertes Programm und Anmeldung im Internet auf www.jemand-daheim.de.

[Merkur, 31.08.2022]

06 Aug

Wir möchten mit anderen zusammen sein

gemeinsam anders wohnen

Interview mit Sebastian Oppermann von der Initiative „Gemeinsam anders wohnen“

Es sind harte Zeiten auf dem Wohnungsmarkt. Gerade im bayrischen Oberland sind Mieten und Immobilienpreise hoch, Eigentum zu erwerben oder neu zu bauen, wird aufgrund steigender Baukosten und Hypothekenzinsen immer schwieriger. Viele Einheimische sind gezwungen, wegzuziehen. Gegen diesen Trend wehrt sich die Bürgerinitiative „Gemeinsam anders wohnen“. Sprecher Sebastian Oppermann, im Vorstand des SPD-Ortsverbands Holzkirchen, erklärt im Interview, warum gemeinschaftliche Wohnprojekte immer wichtiger werden – und es dabei längst nicht nur um das Finanzielle geht.


Herr Oppermann, Holzkirchen gehört zum Landkreis Miesbach, einer der teuersten Landkreise deutschlandweit. Haben die hohen Mieten und Immobilienpreise mit der Gründung Ihrer Initiative etwas zu tun?

Das war auf jeden Fall einer der Gründe. Als wir 2017 die Idee zu der Initiative hatten, suchte ich gerade wegen Familienzuwachs in Holzkirchen eine neue Bleibe, was sich aufgrund der damals schon sehr hohen Preise enorm schwierig gestaltete. Heute ist es ja beinahe schon utopisch. Selbst Vorstände können hier in der Region ohne eigene Erbschaft kaum mehr ein Eigenheim erwerben, ohne sich enorm zu verschulden. Da kam mir die Idee eines Stammtisches auf, um eine Initiative für ein gemeinschaftliches Wohnprojekt zu gründen. Unser Ziel ist dabei der Bau einer Wohnanlage zusammen mit einer Genossenschaft für selbstbestimmtes und nachbarschaftliches Wohnen. In diesem Genossenschafts-Konzept werden jeder Mieter und jede Mieterin gleichzeitig Miteigentümer des Projekts. Alle haben eine Stimme und keinem droht die Eigenbedarfskündigung oder ungerechtfertigte Mieterhöhungen.

Genossenschaften gibt es viele in Deutschland. Was macht Ihre Initiative besonders?

Genossenschaften ermöglichen grundsätzlich die gemeinsame Finanzierung von Wohneigentum. Wir möchten gemeinsam leben. Das bedeutet: Wir wollen unseren Nachbarn nicht nur mit dem Namen kennen, wir wollen ihm helfen, wenn er Corona hat, wir wollen, dass unsere Kinder gemeinsam spielen, wir wollen gemeinsam im Garten feiern und am Sonntagabend zusammen Tatort schauen. Gerade während der Pandemie wurde uns allen deutlich: Menschen sind Gesellschaftstiere. Wir möchten uns nicht isolieren. Wir möchten zusammen sein.

Man sagt der Gesellschaft von heute oft nach, dass es nur um Individualismus geht, jeder für sich und der eine gegen den anderen. Ist Ihre Philosophie auch, hier einen Gegenentwurf zu präsentieren?

Wissen Sie, es gibt mir einfach ein gutes Gefühl, wenn ich aus der Tür gehe und mich fragt jemand: „Ich habe dich jetzt zwei Tage nicht gesehen. Geht es dir gut?“ Das sind kleine, menschliche Gesten, die so viel bewirken. Und ja, das sind Komponenten, die heutzutage ein wenig verloren gehen. Dabei ist die Notwendigkeit menschlicher Nähe und des gegenseitigen Helfens so wichtig wie nie.

Verschiedene Parteien sollen bei Ihnen generationenübergreifend unter einem Dach zusammenwohnen, sich gegenseitig unterstützen und innerhalb gemeinsamer Flächen sich austauschen. Ist das die Zukunft des modernen Wohnens?

Es wird beim Thema Wohnen immer unterschiedliche Modelle geben. Aber ja, der Bedarf an solchen Wohnformen wird immer größer. Nicht nur, weil es günstiger ist, um sich zusammenzuschließen. Viele ältere Menschen, die zehn Jahre vor der Rente stehen und wo die Kinder aus dem Haus sind, machen sich Gedanken, wie sie in Zukunft leben wollen. Die wollen sich verkleinern, aus finanziellen Gründen, aber auch, weil sei einfach nicht alleine in ihrem großen Haus sitzen wollen. Wenn sie in einem gemeinsamen Projekt ihr Zuhause finden, wo die Zugänge barrierefrei sind und sie sich in der Gemeinschaft aufgehoben fühlen, müssen diese Menschen häufig auch deutlich später ins Altenheim. Das entlastet wiederum die gesamte Gesellschaft. Ähnlich ist es mit jungen Familien, wo mal die Nachbarin auf die Kinder aufpassen kann, wenn ein dringender Arzttermin oder ein Notfall in der Arbeit ansteht.

Wie eng ist dieses Zusammenleben bei Ihnen zu verstehen?

Am Anfang haben viele gedacht: Die wollen jetzt eine Kommune gründen. Aber nein, so eng soll das dann doch nicht sein. Jede Partei hat seine eigene Wohnung, seinen eigenen Rückzugsraum. Zwischen 25 und 35 Wohnungen sollen es sein, dann kann man sich bei Bedarf auch mal aus dem Weg gehen. Aber es soll bei unserem Projekt viele Gemeinschaftsflächen geben, sowohl draußen in Gärten und auf Spielplätzen als auch drinnen mit zentral gelegenen Gemeinschaftsräumen. Auch einen gemeinsamen Werkraum soll es geben, wo etwa eine Bohrmaschine für alle bereit steht.

Wie weit fortgeschritten ist Ihr gemeinschaftliches Projekt?

Tatsächlich befinden wir uns aktuell im Wartezustand. Wir hatten mal ein Grundstück im Neubaugebiet Maitz in Holzkirchen im Auge, das war allerdings aufgrund des Bebauungsplans finanziell nicht machbar. Aktuell interessieren wir uns für ein Grundstück auf einer Neubaufläche zwischen der Tölzer- und Baumgartenstraße, hier könnte ein Mehrfamilienhaus inklusive einer Kita entstehen, was natürlich sehr gut in unsere Philosophie passen würde. Aber dort gibt es zwischen der Gemeinde und den weiteren Eigentümern Streitigkeiten. Die aktuellen Krisenzeiten machen es da auch nicht leichter. Die Baupreise sind hoch, gewisse Baustoffe kaum verfügbar, da heißt es aktuell abwarten und weiter nach Möglichkeiten Ausschau halten.

Sie sind im SPD-Ortsvorstand, Ihr Kontakt zum Holzkirchner Rathaus ist sicher gut. Wie steht die Marktverwaltung und der Gemeinderat Ihrem Projekt gegenüber?

Ich musste ein bisschen hinarbeiten, aber mittlerweile ist die Akzeptanz für unser Projekt groß. Tatsächlich sehen wir unseren Auftrag als Initiative nicht nur in der Realisierung unseres Wohnprojekts, sondern auch in der gesellschaftlichen und politischen Etablierung unserer Idee. Dazu gehört aber auch ein Mithelfen seitens der politischen Entscheidungsträger vor Ort, etwa markteigene Grundstücke nicht zu verkaufen, sondern per Erbpacht den Bürgern und Bürgerinnen vor Ort für deren sozial verträglichen Projekte zugänglich zu machen. Da hat sich unter anderem durch unsere Engagement viel getan, ein Umdenken ist hier in der Gemeinde mittlerweile deutlich spürbar. Vielen Menschen ist in den vergangenen Jahren klar geworden: Einfach weitermachen geht nicht. Wir brauchen neue Konzepte des Zusammenlebens.

[Merkur, 06.08.2022]

06 Aug

Teure Neubauten

Kreis Miesbach bundesweit Ausreißer

Landkreis – Das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) hat die Immobilienangebote in den 401 Landkreisen und kreisfreien Städten Deutschlands untersucht und gibt im Postbank Wohnatlas 2022 einen Überblick über die regionalen Preisabstufungen zwischen Eigentumswohnungen im Bestand und Neubauobjekten, die zwischen 2019 und 2021 fertiggestellt wurden. Am krassesten ist der Unterschied just im Kreis Miesbach. Dort kostet der Quadratmeter einer vor 2018 fertiggestellten Wohnung im mittleren Preissegment 7300 Euro, in einem Neubau hingegen knapp 12 371 Euro. Beim Kauf einer 70 Quadratmeter großen Wohnung ergibt sich damit im Landkreis eine rechnerische Preisdifferenz von rund 355 000 Euro.

Zum Vergleich: Im bundesweiten Mittel liegt der Preisaufschlag für eine 70 Quadratmeter große Neubau-Wohnung gegenüber einer Immobilie aus dem Bestand im mittleren Preissegment bei 93 694 Euro. Bei hochpreisigen Objekten, also den teuersten zehn Prozent aller Angebote, ist der Preisabstand mit 70 151 Euro geringer.

Neben dem Kreis Miesbach ist der höhere Preisunterschied insbesondere im Großraum München, im Bundesland Sachsen und der Metropolregion Rheinland zu beobachten.

[Merkur, 06.08.2022]

25 Jul

Mieter haben Angst um ihr Zuhause

Hohe Quadratmeterpreise und Luxussanierungen, dazu Preissteigerungen in allen Bereichen des Lebens. Keine Frage, Münchner Mieter leiden ganz besonders unter den jüngsten Entwicklungen. Das wurde beim Mieterstammtisch, der erstmals wieder nach der Corona-Pause tagte, schnell klar.

Bukurije Tasini muss mit ihren drei Kindern raus aus der Wohnung in Aubing. Letzter Ausweg: Obdachlosen-Unterkunft. Rudolf Schairer (Maxvorstadt) hat Angst vor einer Wohnungslosigkeit wegen eines Abrisses. Zwei Beispiele für die große Not der Münchner Mieter.

Angst vor der Obdachlosigkeit

Bukurije Tasini (37) weiß nicht mehr weiter: Jeden Tag rückt das Datum näher, an dem sie ihre Wohnung verlieren wird. Ihr Vermieter hat ihr Anfang des Jahres wegen Eigenbedarfs gekündigt – Ende Oktober muss die alleinerziehende Mutter mit ihren drei Kindern (12, 14 und 19) endgültig ausziehen. Wo es danach hingeht, ist völlig ungewiss – die Familie findet einfach keine Wohnung.

Fast täglich fragt ihr jüngster Sohn seitdem: „Mama, wo müssen wir jetzt hin?“ Sie hat keine Antwort drauf, die Situation belastet die ganze Familie. Denn: Wenn sie nichts finden, droht die Wohnungslosigkeit. „Der Druck wird jeden Tag schlimmer“, sagt die Mutter. Seit 15 Jahren lebt die Familie in Aubing: vier Zimmer, 80 Quadratmeter, rund 1100 Euro Miete – für München ein vergleichsweise günstiges Angebot. Seitdem Tasini weiß, dass sie ausziehen muss, sucht sie täglich nach Alternativen, schreibt Anfragen: Doch auf dem freien Markt eine angemessen große Wohnung zu finden, ist schwer. Die alleinerziehende Mutter kann nur halbtags in einem Schuhgeschäft arbeiten, ihr Budget ist dementsprechend gering – schon jetzt erhält sie zusätzliche Leistungen vom Jobcenter.

Ihr Antrag auf eine Sozialwohnung wurde mit maximaler Punktzahl bewilligt. „Ich dachte, das wäre ein gutes Zeichen“, sagt sie. Sie habe sich dann auf dem offiziellen Portal der Stadt auf bisher über 40 Sozialwohnungen beworben – aber immer nur Absagen!

„Ich verliere langsam die Hoffnung“, sagt sie. Das Problem: In München warten momentan knapp 23 000 Haushalte auf eine Sozialwohnung – die Zahl hat sich in den vergangenen zwei Jahren fast verdoppelt! Gleichzeitig können jährlich nur rund 3000 Wohnungen vergeben werden. Nur wegen einer hohen Dringlichkeit komme man nicht automatisch „zum Zug“, erklärt ein Sprecher des Sozialreferats. „Das Angebot kommt der Nachfrage nicht hinterher.“

Falls sie bis Oktober nichts finde, könne sie mit ihren Kindern in einer Unterkunft für Wohnungslose unterkommen, teilte ihr das Sozialreferat mit. Tasini empfand das als ziemlich „kalt“. „Das wäre das Schlimmste, was passieren kann. Ich will das meinen Kindern nicht antun.“ Sie hofft weiter.

Was kommt nach dem Abriss?

Rudolf Schairer aus der Schönfeldstraße 14 in der Maxvorstadt blickt in eine ungewisse Zukunft. Das Haus, in dem er lebt und das dem Immobilienunternehmen Dawonia gehört, soll abgerissen werden. 75 Einzimmerwohnungen befinden sich in dem Gebäude – hier leben jetzt auch 75 Mal Angst und Sorge.

Ursprünglich hatten die Mieter noch gehofft, dass in ihrem Gebäude lediglich Modernisierungsarbeiten vorgenommen werden. Doch im Frühjahr 2020 erhielten sie die Schocknachricht: Abriss im Jahr 2021. Wegen der Corona-Pandemie haben sich die Arbeiten jedoch verzögert. Ein kurzes Durchatmen. Denn vom Tisch ist das Projekt damit noch lange nicht. „Ich rechne damit, dass das Haus nächstes Jahr abgerissen wird“, mutmaßt Schairer, der schon seit 1990 hier wohnt. Er ist der Meinung, dass das Gebäude abgerissen werden soll, um teureren Wohnraum zu schaffen. Im neuen Haus seien nur etwa 60 Wohnungen geplant – im Gegensatz zu den 75 Wohnungen jetzt. Aber die Wohn- und Nutzfläche erhöhe sich von den jetzigen 3600 Quadratmetern auf ungefähr 6900. „Da sollen Luxuswohnungen entstehen“, schließt Schairer.

Die Dawonia widerspricht: Im neuen Gebäude seien familienfreundlichere, größere Wohnungen geplant. Rudolf Schairer kämpft trotzdem für den Erhalt des bisherigen Gebäudes. Er glaubt, dass die Preise steigen werden – in eine Höhe, die er und andere Altmieter des Hauses dann nicht mehr zahlen könnten. Deshalb sprach Schairer nun auch beim Mieterstammtisch vor.

[Merkur, 25.07.2022]

29 Jun

Jetzt klettern die Preise für normale Lagen

BODENRICHTWERTE 2022 – Ausschuss legt wegen Grundsteuerreform bereits jetzt neue Zahlen vor

Anstiege im gesamten Landkreis: Die Grafik zeigt pro Kommune (in alphabetischer Reihenfolge) die Entwicklung des Indexwertes, wobei Lila den jeweils aktuellen Wert zum Stichtag 1. Januar 2022 angibt. Der Ausgangswert 100 basiert auf den Werten des Jahres 2010. Die blaue Kurve beschreibt dagegen, wie sich die Wertsteigerung in Prozent von der vorherigen Bodenrichtwertermittlung 2020 bis zur aktuellen entwickelt hat. Am Beispiel von Miesbach mit dem Indexwert 323 bedeutet das, dass sich der Wert seit 2010 um 223 Prozent gesteigert hat. im Vergleich zum letzten Stichtag 31. Dezember 2020 erhöhten sich die Preise um 17 Prozent. Grafik: Landratsamt Miesbach

Landkreis – Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, fragile Lieferketten – die Welt ist unsicher geworden, doch auf eines ist trotzdem oder gerade deswegen Verlass: Die Immobilienpreise im Landkreis Miesbach steigen weiter. Das ist das Ergebnis der Bodenrichtwerterhebung, die der Gutachterausschuss am Landratsamt zum Stichtag 1. Januar 2022 ermittelt hat.

Waren es zuletzt vor allem die Premiumlagen an Tegernsee und Schliersee, die starke Preissteigerungen erzielten, sind es nun die sogenannten B-Lagen, die seit der vorherigen Erhebung zum Stichtag 31. Dezember 2020 teils kräftig anzogen. „Die bisherigen Toplagen sind weiter stabil“, berichtet Bernhard Mayer, der Vorsitzende des Gutachterausschusses. „Jetzt findet der Preisanstieg in den normalen Lagen statt, wo die Preise zuvor noch einigermaßen normal waren.“ Was aber nicht heißt, dass See- und Bergblick weniger gewünscht sind. „Die landschaftlich reizvollen Lagen an den Seen sind noch immer besonders nachgefragt.“

Dass nun auch normale Wohngegenden vom Preishoch erfasst werden, lässt sich nachvollziehen. Der Immobilienmarkt in der Landeshauptstadt ist leer. Wer also in München nichts findet, sucht im Umland – und ist bereit, auch hier Münchner Tarife zu zahlen. „Diese Leute sind andere Preise gewohnt und haben vor allem den Norden des Landkreises entdeckt“, erklärt Mayer. Wobei er betont: „Es gibt auch hier Vorzugslagen.“ Nicht alles sei gleich.

Dies belegen die tatsächlich getätigten Verkäufe im Landkreis, die der Gutachterausschuss allesamt ausgewertet hat. Für Bereiche, in denen keine Immobilienveräußerungen ausgewertet werden konnten, haben die zwölf Mitglieder des Ausschusses – ehrenamtlich tätige Sachverständige und Architekten – eine Entwicklung auf Basis des Trends zugrunde gelegt, die letztlich nicht dem Markt entsprechen muss. Mayer: „Das ist dann vielleicht ein Anstieg um 15 Prozent, obwohl der Markt 25 Prozent hergibt.“

Dass bereits jetzt stichtagsbezogen nach nur einem Jahr und einem Tag bereits neue Werte veröffentlicht werden – und nicht wie sonst üblich im Zwei-Jahres-Rhythmus –, liegt an der bundesweiten Reform der Grundsteuer. Wie Mayer erklärt, hat die Finanzbehörde „zum Zwecke der Besteuerung des Grundbesitzes einen Hauptfeststellungszeitpunkt im Bewertungsgesetz zum 1. Januar 2022 festgesetzt“. Dabei bestehe zwischen aktuellem Bodenrichtwert und Grundsteuer gar keine Zusammenhang. „In Bayern ist das Flächenmodell eingeführt“, erklärt Mayer weiter. „Relevant sind die Flächen des Grundstücks und der Bebauung sowie die Nutzung.“ Ein Thema, zu dem es oft Fragen aus der Bevölkerung gebe. Dem Gesetzgeber gehe es beim Zeitpunkt eher um den Länderfinanzausgleich. Dafür seien Sparkassen und Banken sehr daran interessiert, auf möglichst aktuelle Bodenrichtwerte zurückgreifen zu können, denn „diese fließen bei der Finanzierung von Immobilien mit ein“.

Stabil sind dagegen die Preise bei den Gewerbeflächen. Was sich laut Mayer ebenfalls erklären lässt: „Hier gibt es nur wenige Angebote. Zudem ist der Markt durch direkte Verkäufe durch die Kommunen und deren Bauleitplanung sehr stark gesteuert.“

Wie vorgeschrieben, hat der Gutachterausschuss die Zahlen aktualisiert und das Werk bereits veröffentlicht. Darüber hinaus werden die Bodenrichtwerte bei den Kommunen jeweils für einen Monat zur Einsichtnahme ausgelegt. Die Städte und Gemeinden machen dies ortsüblich bekannt und entscheiden selbst über den exakten Zeitraum.

Das Abrufen der Werte ist kostenpflichtig und erfolgt vorrangig über www.boris-bayern.de sowie über die Geschäftsstelle des Gutachterausschusses. Mayer: „Jedermann kann Auskunft über die Bodenrichtwerte erlangen.“ Für die Zukunft findet die Erhebung wieder im Zwei-Jahres-Turnus statt. Nächster Stichtag ist der 1. Januar 2024.

Weitere Hinweise zu den Bodenrichtwerten sind auf der Homepage des Landkreises unter www.landkreis-miesbach.de/gutachterausschuss einsehbar.

[Merkur, 29.06.2022]